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6 Vorteile bei Wohlstandsverlust

6 Vorteile bei Wohlstandsverlust - Hohelweg in Glattbach - Foto (c) Georg Magirius

Wenn der Wohlstand einmal nicht wächst, gilt das als Katastrophe. Auf einer Adventswanderung im Spessart im Dezember 2023 erleben die Pilger das Gegenteil, nämlich 6 Vorteile bei Wohlstandsverlust. Der Theologe und Schriftsteller Georg Magirius leitet Tour der Reihe GangART im Spessartwald unweit von Aschaffenburg. Die Teilnehmerinnen werfen nicht ihr gesamtes Geld in einem Anflug von Extrem-Askese weg, zumal die Tour als Wanderung zum Glitzerstein, einem märchenhaften Reichtum, angekündigt ist. Und doch setzen sie sich einem Minusgeschehen aus. Die Temperatur liegt unter Null. Den Minusgraden kommt freilich eine der berühmtesten Erzählungen der Weltgeschichte in die Quere. Der Allerhöchste und damit auch derjenige, der über den meisten Wohlstand verfügen dürfte, erfindet sich neu. Stehen, Gehen oder Schweben kommen für ihn zum Erliegen, als er in eine Futterkrippe gelegt wird. Der Statusverlust des Himmlischen, behauptet der Engel in der Weihnachtsgeschichte, führe zu einer „großen Freude, die allem Volk widerfahren wird.“

6 Vorteile bei Wohlstandsverlust - Krippenmuseum Glattbach - Foto (c) Georg Magirius

Verlust-Vorteil 1: Schweigend hört man mehr

Die Adventsgänger sind im Wald schweigend unterwegs. Bei einer Wohlstandsminderung ist man zunächst oft laut, schreit, versucht zu retten, was zu retten ist. Dann wird der Geminderte oft leise, verstummt vielleicht sogar und schweigt. So klingen 8 Sekunden der Adventspilger bei ihrem Stilleweg:

8 Sekunden Advent im (fast) stillen Wald …

Laut wie selten hören die Vorweihnachtswanderer ihre Schritte: Sie knirschen im verharschten Schnee, der aus keiner Schneekanone geschossen, sondern von oben herabgerieselt ist. Ein Knirschgang, an dem die Wanderer hörbar beteiligt sind. Doch ohne den Schnee, für den sie nicht zu sorgen brauchen, hörte sich ihr tönender Existenznachweis nicht so kraftvoll an.

Verlust-Vorteil 2: Unten glitzert es

Die Adventswanderer schauen immer mal zu Boden, der ja auch die Ziel-Szenerie der Weihnachtsgeschichte ist. Zu Boden blicken oft auch jene, deren Status wackelt. Die Haltung ist nicht mehr kerzengerade. Man schaut damit zugleich weniger von oben auf andere herab, lacht andere vielleicht weniger an, aber auch nicht so schnell aus. Vorsichtig tritt man auf. Der verharschte Schnee gerät durch die Schritte in Bewegung: unzählbar viele Schneekristallstücke sind das, die fast in so etwas wie einen freudigen Tanz zu geraten scheinen. Außerdem in und unter all dem Schnee: Glitzersteine, Quarzite oder Permatite genannt, für die der Graue Stein bei Glattbach offenbar eine luxuriöse Wohnlage ist.

Vorteil 3: Niemand hat Küchendienst

Ihren festen Standpunkt haben sie bereits zu Anfang der Tour aufgegeben, nun erklimmen die Adventspilgerinnen den höchsten Punkt der Tour, den Grauen Stein. Dort wartet keine festliche Tafel. Die einzige Bank hat der Schnee besetzt. Die Rastenden lachen. Als Stehtrinker brauchen sie keine Angst zu haben, eine kostbare Tischdecke mit Flecken zu verzieren, was die Gastgeber dann gezwungen lächelnd sagen lässt: “Ähm … macht doch nichts.” Kein Küchendienst ist nötig, kein Staubsauger muss die Krümel der Rast zusammensuchen. Zugegeben: Es fehlt die Landschaftstapete mit märchenhaftem Wald, die manches Restaurant veredelt. Wald allerdings ist trotzdem zu sehen.

Vorteil 4: Kerze ohne Zimmerbrand

Eine Kerze wird entzündet. Niemand hat einen Feuerlöscher mitgeschleppt, kein Wassereimer wird bereit gehalten. Im Wald breitet sich eine Sorglosigkeit aus, wie sie in lux-speienden, wattstark ummantelten Häusern selten anzutreffen ist. Der Stromverbrauch liegt bei Null. Auch ein Waldbrand ist wegen der Minusgrade unwahrscheinlich: Das Kerzenlicht im Wald sorgt für einen Augenblick ungestörter Konzentration.

Verlust-Vorteil 5: Vom Glück der schiefen Ebene

In einem Hohlweg kurz vor Glattbach füllt ein Stein fast die gesamte Breite des Weges aus. Er hat tiefe Kuhlen, mehrere Ebenen – ein zerklüfter Fels. Auf ihn kann keiner die Füße dezent und sauber nebeneinander setzen. Man geht so über ihn hinweg, dass man damit selbst beim besten Willen nicht ins Lehrbuch für symmetrisch ausgereiftes Stehen kommt. Es steht und geht sich eben nicht immer glatt. Wer freilich zwanghaft gerade stehen will, nur um dadurch keinen einziges Prozentpunkt seines Wohlstands in die Freiheit zu entlassen, hat mit gehörigen Verkrampfungen zu rechnen. Auf dem Mehr-Ebenen-Stein einmal bewusst asymmetrisch zu stehen, habe hingegen etwas Entlastendes, sagt eine Pilgerin: „Ich stehe besser als sonst!“,

Vorteil 6: Schutz erfahren

Damit der Vorteile noch nicht genug: An einem moosübersäten Monolithen ist zu ahnen, was geschehen kann, wenn der Stand verlassen ist. Der hohe Felsen am Fränkischen Marienweg lässt an Maria denken, sagt Magirius. Sie schützt, ohne Wohlstand, ein Kind, das ohne Wohlstand ist. „Kannst du mir helfen?” Wer solch eine Frage auszusprechen wagt, ist in den Augen erbitterter Wohlstandsverteidiger klein. Aber womöglich wächst dadurch Größe in anderem Sinn? Der Wunsch nach Anlehnung dürfte eine der wohlwollendsten Begabungen des Menschen und – laut Weihnachtsgeschichte – auch Gottes sein. Schutz jedenfalls erfährt wohl nur, wer seine Körperlänge nicht immerzu ausgestreckt spazieren führt. Darauf deutet der Moos-Monolith hin, in dessen Geborgenheitshöhle nur kommt, wer sich auch mal rund zu machen versteht. Genauso erzählen die Krippen aus 84 Ländern im Glattbacher Museum von dem neuen Leben, das lauten Jubel weckt, weil es verletzlich ist.

Die Reihe GangART

GangART ist eine Reihe spiritueller Tagestouren durch Odenwald, Schwarzwald, Taunus, Frankfurt, Steigerwald, Haßberge, Fränkisches Weinland, Spessart, Rhön und Haßberge. Bei bislang 59 Touren nahmen fast 1200 Wanderer teil. Im Main Echo hat Sabine Schömig mit einer Sonderseite die von Georg Magirius ersonnene Adventsroute zum Grauen Stein bei Glattbach vorgestellt. GangART findet Widerhall aber z. B. auch in der Main Post, in Publik Forum, ERF, BR, HR, Deuschlandfunk, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Frankfurter Neue Presse und der Leipziger Zeitung. Die Wanderschule arbeitet gelegentlich mit Hochschulen und anderen pädagogischen Einrichtungen, mit Kirchen, Reiseveranstaltern und – vielleicht gerade wegen Blogbeiträgen wie diesem – mit Wirtschaftsverbänden zusammen. Die Adventswanderung ist angeregt von Magirius’ Büchern “Stilles Franken. 24 Adventsorte” und “Frankenfreude. 33 überraschend schöne Orte”. Rückblicke auf zurückliegende Touren der Reihe GangART sind hier. – Die Fotos des Beitrags stammen von Charmaine Weller und Georg Magirius.

Weitere Fotos der Adventswanderung zum Grauen Stein