Franken

Das älteste Bauernhaus im Odenwald

Dieser Wandertipp führt zu einem Bauernhaus, dessen Standort mehrfach wechselte, das also gleichsam selbst auf Wanderschaft war. Georg Magirius hat den Beitrag für die Zeitungen Bonifatiusbote, Glaube und Leben und Der Sonntag verfasst. Die Redaktion hat Ruth Lehnen.

Watterbacher Haus im Odenwald - Foto aus Georg Magirius' Buch "Frankenliebe. 33 Orte zum Staunen und Verweilen"
Watterbacher Haus im Odenwald. Foto: Georg Magirius

Nach einer guten Stunde Wanderung wartet ein Moment seltsamer Freiheit. Bei allem Losgelöstsein ist auch eine tiefe Verwurzelung zu spüren. Erfahrbar ist das vor dem ältesten Bauernhaus im Odenwald, an einem Sträßlein, an dem kaum einmal ein Auto vorbeikommt.

In Preunschen: Das älteste Bauernhaus im Odenwald

Das Haus ist mit dem Bus vom Bahnhof in Amorbach erreichbar. Auf schöne Weise noch geruhsamer geht es dorthin zu Fuß von Kirchzell, das ebenfalls von einem in Amorbach startenden Bus angefahren wird. Amorbach ist Haltestelle der Madonnenbahn Miltenberg-Buchen. Markierung V weist von Kirchzell hinauf in das sich auf einer Hochebene erstreckende Preunschen. Dort mündet der Weg in den Nibelungensteig. Kurz darauf steht man vor dem Watterbacher Haus.

Haus auf Wanderschaft

Verwurzelt und aufbruchslustig sein: hier lässt sich erleben, was sich gewöhnlich ausschließt. Das Haus vermittelt Geborgenheit, schließlich ist es ein Jahrhunderte altes Haus. Die tief wurzelnde Tradition schränkt aber nicht ein, war es doch schon selbst in Bewegung. Ursprünglich im nahen Watterbach errichtet, sollte es 1966 einem Neubau weichen, zog um nach Breitenbach, ehe es seit 1981 am Ortsrand von Preunschen gleichsam Ruhe fand.

Blühender Obstbaum auf der Hochebene von Preunschen im Odenwald - ganz in der Nähe ist das älteste Bauernhaus des Odenwalds

Waldmuseum

Im Haus ein Waldmuseum. Und vor dem Haus gehen die Augen weite Wege, auf immer neue Weise streifen sie über die waldübersäten Hügel. Eine Art von Häuslichkeit lässt sich erfahren, die nicht einengt, sondern befreiend ist. Womöglich ist es gar nicht so sehr anders als beim sogenannten Offenbarungszelt. Von ihm erzählt das Buch Exodus, dieses literarische Manifest der Freiheit par excellence. Als die Israeliten mit Mose unterwegs ins Gelobte Land sind, haben sie dieses Zelt dabei. Wenn sie rasten, bauen sie es auf. Die zeltartige Hütte selbst ist noch nicht die Heimat, auf die sie zuwandern, kann sie aber erahnen lassen. Denn Gott komme dort zu Besuch, heißt es, wie mit einem Freund könne man im Zelt zu ihm reden. Welch eine Geborgenheit! Und das mitten auf dem Weg.

Köhler und Zapfenpflückern

Nicht ganz so archaisch alt wie dieses Zelt, aber doch bereits um 1475 ist der Odenwälder Fachwerkbau errichtet. Stall und Wohnung des Hauses befanden sich unter einem Dach. Das Waldmuseum im Haus stellt nahezu vergessene Berufe wie Köhler, Glasmacher oder Pechsieder vor, die viel Holz verbrauchten. Um 1500 entstanden erste Ordnungen, um das Versteppen des Waldes zu verhindern. Doch erst im 18. Jahrhundert wurde begonnen, den Wald nachhaltig zu bewirtschaften. Große Flächen wurden mit Nadelgehölzen aufgeforstet. Sie machen heute fast drei Viertel des Waldes in der Amorbacher Region aus, der um 1100 noch ein Laubwald war. Wichtig für den Wald sind die Zapfenpflücker, die aus Kirchzell kommen, wo die Tour beginnt. Auch sie sind äußerst beweglich, um dadurch weitblickend für eine gute Verwurzelung zu sorgen. Sie reisen bis in skandinavische und osteuropäische Länder, um Bäume hochzuklettern und bestes Saatgut herunterzuholen.

Die Burg Wildenberg ist gerade einmal 20 Minuten zu Fuß vom ältesten Bauernhaus im Odenwald entfernt.

Burg Wildenberg

Der Nibelungensteig führt weiter zur Burg Wildenberg, auf der Wolfram von Eschenbach an seinem Parzival geschrieben haben soll. Auch die Zittenfeldener Quelle liegt am Weg, ehe sich im Amorbach der Nibelungensteig mit dem Fränkischen Marienweg verbindet. Sehenswert der einstige Klostergarten, aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts ein Landschaftsgarten wurde. Ausgeklügelte Sichtachsen bieten immer neue Ausblicke auf die Barockstadt. Die ehemalige Benediktinerabtei beherbergt die weltbekannte Stumm-Orgel und eine mehr als 30000 Bücher umfassende Bibliothek. Eins der ältesten Fachwerkhäuser Deutschlands steht in Amorbach: das Templerhaus. Jahrzehnte alt, bemerkenswert gepflegt und beruhigend eventuntauglich sind die Stühle im Schlosscafé, wo exzellent frischer Kuchen serviert wird.

Heimat des Philosophen

Amorbach spiegelt sich im Werk des Philosophen Theodor W. Adorno wider. Die Stadt, in der als Jugendlicher oft war, bezeichnet er nach der Rückkehr aus dem Exil als den „einzigen Ort auf diesem fragwürdigen Planeten, in dem ich mich im Grunde zuhause fühle“. Auch die Madonna in der Pfarrkirche Sankt Gangolf erzählt von Wanderschaft und Sehnsucht nach Heimat.

Madonna unterwegs

Als sich die Benediktinerabtei 1803 auflöste, wurde die prachtvoll ausgestattete Klosterkirche evangelisch-lutherisch. Grund war das Bekenntnis des Fürsten von Leiningen, der in Amorbach nunmehr das Sagen hatte. Doch weil der Fürst nicht konfessionsfanatisch war, ließ er die katholische Pracht der Kirche unangetastet. Nur was sollte aus der dortigen Madonna werden? Die Statue war der Josefstatue gegenüber postiert. Dennoch schien sie nicht am rechten Platz zu sein, wurde sie von den katholischen Amorbachern doch sehr verehrt, sodass sie nun gleichsam in die Fremde geraten war. So ließ der Fürst sie wandern, aus der lutherisch gewordenen Abteikirche hinaus. Er übergab sie der katholischen Gemeinde. Seit mehr als 200 Jahren hat sie nun Heimat in der Pfarrkirche Sankt Gangolf.

Das Buch Frankenliebe

Die Fotos stammen aus dem Buch “Frankenliebe – 33 Orte zum Staunen und Verweilen”. Georg Magirius hat das Buch im Würzburger Echter Verlag veröffentlicht. Stefan Weigand hat es gestaltet. Und Thomas Häußner hat es lektoriert. Es hat 144 Seiten und viele Abbildungen. Das Buch kostet 12 Euro. Die ISBN-Nummer lautet 978-3-429054373. Weitere Informationen und Pressestimmen sind hier.