Franken

Das älteste Bauernhaus im Odenwald

Dieser Ausflugstipp führt zu einem Haus, das mehrfach auf Reisen gewesen ist. Es ist das älteste Bauernhaus im Odenwald. Georg Magirius hat den Beitrag verfasst. Für die Pfingstausgabe 2020 der Zeitungen Bonifatiusbote, Glaube und Leben und Der Sonntag. Ruth Lehnen hat die Reportage redaktionell begleitet.

Watterbacher Haus im Odenwald - Foto aus Georg Magirius' Buch "Frankenliebe. 33 Orte zum Staunen und Verweilen"
Das Watterbacher Haus im Odenwald. Foto: Georg Magirius

Ich fühle mich völlig frei. Und trotzdem auch zutiefst geborgen, ganz bei mir und aufmerksam für die Weite der Landschaft. Diese Ruhe erfahre ich vor dem ältesten Bauernhaus im Odenwald auf einer Hochebene, an einem Sträßlein, an dem kaum einmal ein Auto vorbeikommt. Seit Wochen schon bin ich unterwegs zu entlegenen, manchmal fast exotisch wirkenden Orten. Aber nicht in fernen Ländern suche ich sie, fliege also nicht, reise auch nicht mit dem Auto. Stattdessen unternehme ich immer wieder einmal eine Tagesreise von Frankfurt aus mit Bus, Bahn und zu Fuß.

In Preunschen: Das älteste Bauernhaus im Odenwald

Das älteste Bauernhaus im Odenwald ist mit dem Bus direkt vom Bahnhof in Amorbach erreichbar. Aber ich will langsamer dorthin kommen, zu Fuß von Kirchzell, das ebenfalls von einem in Amorbach startenden Bus angefahren wird. Amorbach ist Haltestelle der Madonnenbahn Miltenberg-Buchen. Mit der Markierung V geht es hinauf in das sich reizvoll über eine Hochebene erstreckende Preunschen. Dort mündet der Weg in den Nibelungensteig. Kurz darauf stehe ich vor dem Watterbacher Haus.

Ein Haus auf Wanderschaft

Verwurzelt und beweglich sein: an diesem Ort fällt zusammen, was sich gewöhnlich ausschließt. Das Haus vermittelt Geborgenheit, schließlich ist es ein jahrhundertealtes Haus. Die Tradition des Gebäudes schränkt aber nicht ein, war es doch schon selbst auf Wanderschaft gewesen. Ursprünglich im nahen Watterbach errichtet, sollte es 1966 einem Neubau weichen, zog um nach Breitenbach, ehe es seit 1981 am Ortsrand von Preunschen Ruhe fand.

Blühender Obstbaum auf der Hochebene von Preunschen im Odenwald - ganz in der Nähe ist das älteste Bauernhaus des Odenwalds

Waldmuseum

Im Haus befindet sich ein Waldmuseum. Und vor dem Haus gehen meine Augen weite Wege, auf immer neue Weise streifen sie über die waldübersäten Hügel. Ich fühle mich auf eine Weise häuslich, die nicht einengt, sondern beweglich bleiben lässt. Und mir fällt das Offenbarungszelt ein. Als das Volk Gottes mit Mose unterwegs ins Gelobte Land war, in dem Milch und Honig fließen, trugen sie dieses Zelt mit sich. Wenn sie rasteten, bauten sie diesen bewegungsfähigen Tempel auf. Die Hütte selbst war noch nicht die paradiesische Heimat, konnte sie aber erfahren lassen. Denn Gott kam dort zu Besuch, wie mit einem Freund konnte man dort mit ihm reden, erzählt das Buch Exodus.

Von Köhlern und Zapfenpflückern

Nicht ganz so alt wie dieses Zelt, aber immerhin um 1475 ist der Odenwälder Fachwerkbau errichtet worden. Stall und Wohnung des Hauses befanden sich unter einem Dach. Das Waldmuseum stellt nahezu vergessene Berufe wie Köhler, Glasmacher oder Pechsieder vor, die viel Holz verbrauchten. Um 1500 entstanden erste Ordnungen, um das Versteppen des Waldes zu verhindern. Doch erst im 18. Jahrhundert wurde begonnen, den Wald nachhaltig zu bewirtschaften. Große Flächen wurden mit Nadelgehölzen aufgeforstet. Sie machen heute fast drei Viertel des Waldes in der Amorbacher Region aus, der um 1100 noch ein Laubwald war. Wichtig für den Wald sind auch die Zapfenpflücker, die aus Kirchzell kommen, wo ich am Morgen losgegangen bin. Sie reisen bis in skandinavische und osteuropäische Länder, um Bäume hochzuklettern und bestes Saatgut herunterzuholen.

Die Burg Wildenberg ist gerade einmal 20 Minuten zu Fuß vom ältesten Bauernhaus im Odenwald entfernt.

Die Burg Wildenberg bei Preunschen

Ich folge weiter dem Nibelungensteig, bin rasch an der nahen Burg Wildenberg, auf der Wolfram von Eschenbach vermutlich an seinem Parzival geschrieben hat. Auch die Zittenfeldener Quelle passiere ich, ehe ich am späten Nachmittag in Amorbach eintreffe, wo sich der Nibelungensteig mit dem Fränkischen Marienweg verbindet. Sehenswert ist der einstige Klostergarten, aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts ein Landschaftsgarten wurde. Ausgeklügelte Sichtachsen bieten immer neue Ausblicke auf die Barockstadt. Die ehemalige Benediktinerabtei beherbergt die weltbekannte Stumm-Orgel und eine mehr als 30000 Bücher umfassende Bibliothek. Auch eines der ältesten Fachwerkhäuser Deutschlands steht in Amorbach: das Templerhaus. Einige Jahrzehnte alt, bemerkenswert gepflegt und beruhigend eventuntauglich sind die Stühle im Schlosscafé, wo exzellent frischer Kuchen serviert wird.

Wo sich ein Philosoph zu Hause fühlt

Amorbach spiegelt sich intensiv im Werk des Philosophen Theodor W. Adorno wider. Die Stadt, in der als Jugendlicher oft war, erfährt er gerade nach der Rückkehr aus dem Exil als den „einzigen Ort auf diesem fragwürdigen Planeten, in dem ich mich im Grunde zuhause fühle“. Auch die Madonna in der Pfarrkirche Sankt Gangolf erzählt von der Sehnsucht nach Geborgenheit, die auf immer neue Weise spürbar wird. Was vermutlich auch damit zu tun haben dürfte, dass man mit Abschieden zurechtkommen muss. Denn, heißt es im Hebräerbrief, wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

Die wandernde Madonna von Amorbach

Das kann sogar für Skulpturen gelten. Als die Benediktinerabtei 1803 aufgelöst wurde, wurde die prachtvoll ausgestattete Klosterkirche evangelisch-lutherisch. Grund dafür war das Bekenntnis des Fürsten von Leiningen, der in Amorbach jetzt das Sagen hatte. Doch weil der Fürst kein Fanatiker war, ließ er die katholische Pracht der Kirche unangetastet. Nur was sollte aus der Madonna werden? Die Statue war der Josefstatue gegenüber postiert. So weit, so familiär. Dennoch schien sie nicht am rechten Ort zu sein, denn sie wurde sehr verehrt. So ließ der lutherische Fürst sie gleichsam wandern, übergab sie der katholischen Gemeinde. Seit mehr als 200 Jahren hat sie ihren Platz in der Pfarrkirche Sankt Gangolf gefunden.

Das Buch Frankenliebe

Die Fotos stammen aus dem Buch “Frankenliebe – 33 Orte zum Staunen und Verweilen”. Georg Magirius hat das Buch mit vielen farbigen Abbildungen im Würzburger Echter Verlag veröffentlicht. Stefan Weigand hat es gestaltet. Und Thomas Häußner hat es lektoriert. Es hat 144 Seiten und viele Abbildungen. Das Buch kostet 12 Euro. Die ISBN-Nummer lautet 978-3-429054373. Weitere Informationen und Pressestimmen sind hier.