Liebesgeschichten, Neues Leben
Besser als beten

Viele träumen, sie schreibt davon: dass das Leben einen neuen Anlauf nehmen kann. Die Hauptfigur von Barbara Handkes gerade bei Rowohlt Wunderlich veröffentlichten Romans “Bernadette ändert ihr Leben” hat ihre Stimme verloren. Und zwar “als Folge von allzu vielen Nackenschlägen, die ihr das unbedarfte Loslegen ausgetrieben hatten”. Die einstige Journalistin kann nicht mehr schreiben. Zu nachdenklich, zu unsicher, zu unentschlossen, zu anspruchsvoll und streng – sich selbst gegenüber. Jetzt freilich widerfährt der Ex-Schreiberin ein Ankommen, das ihr die Zukunft endlich wieder einmal als freundliches Auf-sie-Zukommen erscheinen lässt. Statt Bürohilfsdienste in Dresden vier Wochen Madrid! Dabei kann sie nicht mal Spanisch. Dennoch erfährt sie das Eintreffen in der neuen Welt als Umarmung. Was mehr als ein Bild bleiben muss, denn womöglich wird sich Bernadette, sagt ihr Ankunfts-und-Zukunftsgefühl, sogar verlieben.
Lange Leitung
Dafür bräuchte sie ihre Stimme. Bernadette will sich eine leihen, stellt jedoch enttäuscht fest: In der Abteilung für deutschsprachige Bücher der von ihr aufgesuchten Buchhandlung steht kein Liebesroman. Dennoch sucht sie ein wegweisendes Wort, greift blind nach einem Buch, blättert, lässt den Finger über eine Seite wandern und dann stoppen. Sie öffnet die Augen und findet Nietzsches Empfehlung, sich der Entfaltung der Schöpferkräfte zu widmen. Das sei der Daseinszweck des Menschen. Des Philosophen Stimme bringt ihre eigene nach und nach zurück. Sie beginnt zu kritzeln, zu zeichnen und zu malen, schließlich hat sie schon als Kind den Zeichenwettbewerb “Entlang der Erdölleitung Freundschaft” gewonnen. Bald schreibt sie sogar wieder, was nicht zuletzt damit zusammenhängt, dass sie in dem von ihr ausdauernd besuchten Café auf eine fast schöpferische Weise zubereiteten koffeinfreien Kaffee mit Hafermilchschaum serviert bekommt.
Wichtiger als Erfolg

Wichtiger als Erfolge oder gesunde Nachkommen zu haben, ist es, sich schöpferisch zu entfalten: Das kann als Pointe des Romans verstanden werden. Dadurch öffnet sich sogar ein Raum der Liebe, ohne ihn krampfhaft ansteuern oder erobern zu müssen. Bernadette jedenfalls erfährt ohne Liebesromanlektüre, dass sie sich “auf einmal ganz und gar befürwortet” fühlt. Und ihre Hand, “die so lange beim Gehen nur zum Herumbaumeln gut gewesen war”, ergriffen wird. “Verbunden mit einer anderen Hand, war es so ähnlich wie beten, nur besser”.
Jenseits der Ausreden

Zu romanhaft, um real zu sein? Tatsächlich erleben manche, wie ihr Körper sich oft nur noch auf den Nacken zu konzentrieren scheint, der wiederholt geschlagen wurde oder wird. Andere träumen. Träumen wieder oder weiter. Zeichnen. Schreiben. Kochen. Genießen. Lesen: Philosophen. Oder Liebesromane. Entfalten sich. Handeln, indem sie etwa schreiben. Und werden so allmählich darin besser, “ihrem Schicksal zu verzeihen”. Gewiss sind das nicht alle. Vielleicht sogar nur wenige? Barbara Handke ist ausgebildete Buchhändlerin, Autorin, Lektorin, promovierte Literaturwissenschaftlerin, die seit vielen Jahren schon in ihren Seminaren überhaupt nicht wenig Schreibenden Wege aufzeigt, das Blatt Papier vor sich nicht weiß zu lassen. Mit ihrem neuen Roman entfaltet sie die Kunst des Verzeihens als ein Locken, das fast ein wenig silbern klingt. Und lässt dabei ihre Protagonistin sagen, dass diese machtvolle Kunst nicht nur für Könner sei, sondern erst recht für “zögerliche Sensibelchen“. Denn “‘wir sind alle ein bisschen unsicher. Das gilt aber nicht als Ausrede.'”
Barbara Handke, Bernadette ändert ihr Leben, Roman, gebunden mit blauem Lesebändchen, Rowohlt Wunderlich, ISBN 978-8052-0121-6, 23 Euro. Weitere Informationen.