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Das Ende der Askese

Das Original: Das Ende der Askese
Das Original.

Viele machen sich ganz selbstverständlich Vorstellungen vom Jenseits. Aber nicht die Theologen, schreibt die Juristin und Theologin Henriette Crüwell in ihrem Beitrag „Wie sieht’s im Himmel aus?“ erstaunlich ähnlich wie vor ihr Georg Magirius. Die Pfarrerin, die die Stelle als Pröpstin für Rheinhessen und das Nassauer Land im August 2022 antritt, hat ihr Essay in der „Evangelischen Sonntagszeitung“ und in „Der Sonntag“ (Sachsen) am 19. April 2020 veröffentlicht. Die Scheu, sich den Himmel auszumalen, stellt die Pfarrerin bei sich fest. Andererseits spüre sie den Wunsch nach einem bilderstarken Himmelglauben. Es wäre das Ende der Askese, der Abschied von der Traumdiät. Und inspirierend wäre es, sich im Glauben von Fantasie und Originalität leiten zu lassen.

Blümchen!

So könne Crüwell die Enttäuschung der hochbetagten Marie Rosa aus Gabriele Wohmanns Roman „Bitte nicht sterben“ nachvollziehen. Marie Rosa erhält an ihrem Geburtstag von einem Pfarrer Besuch. Auf ihre Bitte „Erzählen Sie mir was vom Jenseits“ antwortet er nicht. Er hat keine Idee, sondern verweist verlegen, scheu und doch abgeklärt auf Blümchen im Garten und den gegenwärtigen Augenblick, an dem Marie Rosa sich doch noch immer erfreuen könne.

Georg Magirius und Gabriele Wohmann stellen bei einer Lesung mit 350 Besuchern "Sterben ist Mist, der Tod aber schön vor"
Gabriele Wohmann und Georg Magirius stellen “Sterben ist Mist, der Tod aber schön” vor 350 Besuchern vor.

Ende der Askese: Vanilleeis

Hat Crüwell, die Anhängerin von mehr Originalität, Ideen anderer übernommen?Auf die von ihr vorgestellte, in Wohmanns Roman zur Sprache kommende Hilflosigkeit heutiger Theologen hat Georg Magirius zuvor aufmerksam gemacht in der Sendung „Kurz bevor der Vorhang aufgeht – Moderne Schriftsteller und Auferstehung“, gesendet im Schweizer Radio, im BR und im SWR. Außerdem ist das Jenseitsschweigen der sonst als eloquent geltenden Theologen Ausgangspunkt in dem vom HR gesendeten Wohmann-Porträt. Darin erzählt die Autorin, beim Verzehr von Bottichen mit Vanilleeis einen Vorgeschmack vom Jenseits zu bekommen.

Sterben ist Mist

Cover des Buches "Sterben ist Mist, der Tod aber schön" von Georg Magirius und Gabriele Wohmann

Wohmann, die am 21. Mai 2022 90 Jahre alt geworden wäre, hat in dem Roman “Bitte nicht sterben” die Sprachlosigkeit der Theologen nicht nur konstatiert, sondern spielerisch Bilder für die Jenseitshoffnung formuliert. Sie hat die oft als Königin der Kurzgeschichte bezeichnete Autorin insbesondere in dem von Magirius angeregten und herausgegebenen Band „Sterben ist Mist, der Tod aber schön“ veröffentlicht. Magirius hat seine Bilder vom Jenseits in „Schmetterlingstango“ vogestellt.

Das Ende der Askese: Zweite Naivität

Jenseitsbilder seien nicht unvernünftig, schreibt Magirius in “Schmetterlingstango” und weist auf die vom Philosophen Paul Ricoeur ins Spiel gebrachte Zweite Naivität hin, einen Weg zur Wiederentdeckung der Fantasie. Erneut verblüffend: Diesen Gedanken von Magirius stellt Crüwell ebenfalls in ihrem Beitrag vor. Denn die Askese der Theologen beim Glauben an ein Leben nach dem Tod wirke nicht farbig, tröstlich und zukunftsfroh. „Wie sieht’s im Himmel aus?“, Crüwells Plädoyer für mehr Fantasie inklusive der ungenannten Ideenübernahme ist hier. Die Redaktion hat Andrea Seeger. Henriette Crüwell ist im November 2021 zur neuen Pröpstin für Rheinhessen und das Nassauer Land gewählt worden und Teil der Geistlichen Leitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau.