Franken, Spirituelle Wanderungen, Stille

Schweben für Anfänger

Schweben für Anfänger am Plattenberg bei Kleinwallstadt - Foto von Georg Magirius

Am Ende des Projekttags „Schweben für Anfänger“ stehen die Teilnehmer auf einem Vorsprung des Plattenbergs bei Kleinwallstadt. Mit einer – wie soll man sagen? – bodenlosen Sehnsucht schauen sie ins Maintal. Wind kommt auf! Und sie beginnen zu gleiten. Es ist kein Vogelschwarm. Und doch: Mehr als eine Hand voll Pilgerinnen erlebt eine ungeahnte Leichtigkeit. Es glückt dank eines thermischen Hinweises des Schwebeforschers Jeschajahu, den dieser viele Jahrhunderte vor den ersten Flugversuchen Otto Lilienthals im jüdischen Buch Tanach hinterlassen hat. Mit – wie es dort heißt – “Flügeln wie Adler“ fahren die Pilger auf. Denn sie können den Wind lesen – kurz vor dem Himmelfahrtstag im Mai des Jahres 2023.

Aufstieg zur Burg - Etappe des Projekttages "Schweben für Anfänger" - Foto (c) Georg Magirius

“Adler? Ich bin ein Huhn!”

Der Schwebefortschritt innerhalb weniger Stunden ist beachtlich. Anfangs, beim Anstieg zur Burg Waleberg, ist zu hören: „Adler? Ich fühle mich wie ein Huhn!“ Doch unter Leitung des Theologen und Schriftstellers Georg Magirius und des Pfarrers Joachim Preiser geschieht eine schrittweise Verwandlung. Es sind wirklich Schritte. Denn der Projekttag „Schweben für Anfänger“ ist als Pilgertagestour der Reihe GangART angekündigt. Und das nicht etwa, um die Behörde zur Verhinderung schwärmerischer Leichtigkeit zu täuschen. Nein! „Schweben für Anfänger“ startet mit der erdverbundenen Fortbewegungsart des Gehens, damit nicht krampfhaft geleugnet werden muss, was ein Mensch bei der Wanderung durchs Leben eben auch erfahren kann: Steile Treppen, verwirrende Weggabelungen, harter Boden, Stolpern, schmerzende Beine, Hunger, Ruinen, Durst, Aussichtslosigkeit.

Das Wenige aber ist kostbar

Davon wusste auch Schwebeforscher Jeschajahu – und wie! Ehe er den Hinweis gibt, wie man mit neuer Kraft auffährt, umkreist er variantenreich und nüchtern die Realität der Müdigkeit. Ihr spüren die GangARTianer auf der Burg Waleberg nach. Sie wurde vor rund 750 Jahren innerhalb weniger Jahre erbaut. Hohe und starke Mauern! Kurz vor der Vollendung zerstört man sie. Und das ganz und gar, ein Symbol der Vergeblichkeit. Aber jetzt: Suchte jemand ein Bild tiefen Friedens, fände er es womöglich an diesem Ort. Die ausgegrabenen Mauerreste erzählen nicht mehr vom Willen zur Abwehr, sondern markieren eine Offenheit, die einen Schutz anderer Art erfahrbar macht. Nach vielen Tagen Regen feiert der Burgplatz hemmungslos still das Grün des frisch aufgewachten Waldes. Das ist keine äußere Stille, denn der Wald klingt. Mit seinen Geräuschen weist er freilich einen Weg in die innere Stille, bei der es sich um wenig handelt. Das Wenige aber ist so kostbar, dass es laut des Müdigkeitsexperten Jeschajahu neue Kraft gibt und mit Flügeln wie Adler auffahren lässt.

Ausharren

Jünglinge und starke Männer wissen von der Kraft des Wenigen nichts, heißt es in der Schrift Jeschajahu, bei der Frauen nicht nur aus Quotengründen an der einen oder anderen Stelle federführend gewesen sein dürften. Wie auch junge Adler zwar hektisch mit ihren Flügeln flattern können. Nur erfordert das so viel Kraft, dass sie manches Mal über Nacht im Tal bleiben müssen. Sie können den Wind nicht lesen. Für jemanden, der zum Adler geboren ist, eine tiefgehende Erfahrung. Der Talaufenthalt allerdings lehrt die Geschmeidigkeit des Langsamen, das Warten und Harren, das Ruhegeben und Nichtstun.

Das Ende des Referierens

Die Teilnehmerinnen von FlugART, der Himmelfahrt-Sonderausgabe der Reihe GangART, nähern sich schweigend der Christ-König-Kapelle, einer Marienkapelle im Wald. Maria war doch auch nur jemand, die nichts zu sagen wusste, als sie sagte: “Unmöglich! Wie soll das gehen? Ich habe kein Netzwerk, keinen Menschen, mit dem ich wüsste, wie es geht. Wer bin ich also, dass mein Leben Früchte bringen soll?” Womöglich entgegnete sie dem Engel, der ihr die Nähe Gottes in Aussicht stellte, auch: “Ich habe keinen Plan! Nicht die geringste Ahnung, wie aus Müdigkeit neues Leben wird.” Aber gerade damit sagte sie Ja. Und der Geist kam über sie. Es war der Mut, die eigene Planlosigkeit zuzugeben. Maria drängte den Engel nicht aus ihrem Leben, indem sie ihm unablässig ihr Wissen referierte. So fand in ihr eine neue Wirklichkeit Raum.

Die Gnade des Gegenwinds

Vielleicht war auch Maria vom Schwebeexperten Jeschajahu inspiriert? In der Synagoge dürfte sie dessen Worte gehört haben, die behaupten: “Das mit dem Weitergehen geht, wenn du sagst: Ich weiß nicht, wie es weitergeht.” Oder anders formuliert: „Jetzt aber du, Gott!“ Denn die auf ihn harren, kriegen neue Kraft, heißt es in der prophetischen Schrift. Wer also still hält und zur Anfängerin wird. Und damit jemand, der nicht aufhört. Sondern hofft, dass selbst das Ende kein Ende ist, sondern ein Beginn. Dabei kann geschehen, dass man sich seiner Flügel erinnert, mögen sie einem auch viele ausgeredet haben. Wer sie auffaltet, spürt Größe. Und wie lösend es ist, sie nicht leugnen zu müssen. Mit seinen Flügeln kommt ein Mensch, wenn er die Luft heftig schlägt, allerdings weder weit noch hoch. Stattdessen gilt es, sie dem Wind nahezu bewegungslos entgegenzuhalten. Denn dann ist er kein Gegenwind mehr beim Umsetzen der eigenen Pläne. Er wird vielmehr zum Auftrieb, der durchs Leben trägt.

Schweben für Anfänger - eine Sonderausgabe der Reihe GangART - Foto (c) Georg Magirius

Die Reihe GangART

GangART ist eine Reihe spiritueller Tageswanderungen durch Taunus, Schwarzwald und Franken. Die Tour “Schweben für Anfänger” wurde veranstaltet mit den Evangelischen Kirchengemeinden Frankfurt-Griesheim und Nied. Angeregt ist die Tour von dem Buch “Frankenfreude – 33 überraschend schöne Orte”, das Georg Magirius im Juni unter dem Lektorat von Thomas Häußner und Melanie Zeuß im Echter-Verlag veröffentlicht. Rückblick auf früherer Touren der Reihe GangART finden sich hier. Informationen zu aktuellen Touren sind hier. Die Gruppe bildet sich für jede Tour neu. Die Fotos stammen von Petra Mathein und Georg Magirius.

Weitere Fotos der Tour “Schweben für Anfänger”