Biblisches

Protest statt Zuckerguss

Die Evangelische Zeitung im Norden singt in der Ausgabe vom 15. Augst 2013 ein Loblied auf die Kritik. Konflikte allerdings seien in den Kirchen oft verboten. Sie werden allenfalls personalisiert, also einem Schuldigen zugeordnet, der sich ändern müsse, sodass die Disharmonnie verschwinde. So benennt Mediator und Pastor Ralf Brinkmann im Gespräch mit Sven Kriszio eine typisch kirchliche Abwehr von Konflikten. Dass sie zum Menschen dazugehört, er damit etwas signalisieren wolle und man sie deshalb als hilfreich verstehen könne, von dieser Ansicht sei man weit entfernt. Deshalb will Klaus-Peter Jörns das “Amen” abschaffen. Denn es verhindere am Ende der Predigt, auch mal “Nein” zu sagen. Und Georg Magirius wehrt sich in seinem Beitrag “Protest statt Zuckerguss” gegen das Übergießen des offenbar Skandalösen mit dem Deckmantel einer allumfassenden Liebe.

Georg Magirius’ Beitrag “Protest statt Zuckerguss”

Gäbe es keine Kritik und emotionalen Explosionen in der Bibel, wäre sie vermutlich vergessen. Beim Lesen würde man sich in ihrer Gesellschaft einsam fühlen, wenn man verzweifelt ist, dass Menschen zur Zielscheibe der Zerstörung werden. Nein, damit will sich die Bibel nicht arrangieren. So steht am Anfang, dass die Welt geordnet sei und gut. Ein Leben in Chaos und ohne jeden Zusammenhang würde vermutlich niemand verkraften. Deshalb wirkt die Überzeugung heute und auch in den alten Schriften ganz natürlich: Wer Gutes tut, tut sich auch selber gut. Das findet sich variantenreich in der biblischen Weisheitsliteratur. Und ohne diese Überzeugung gäbe es auch nicht die Sozialkritik der Propheten, die auch eine Glaubenskritik ist: Wer Menschen schinde, handle gegen Gottes Willen, heißt es da.

Dieser akademisch-theologisch oft so genannte Tun-Ergehen-Zusammenhang wird aber auch angezweifelt, beim Prediger Salomo etwa, bei Hiob oder in den Psalmen: Warum werden die krank, die sich recht verhalten? Wieso leidet der Gerechte, der Böse aber wird gesegnet? Jakob war nicht abgrundtief böse, aber ein Betrüger. Gottes Segen freilich liegt auf ihm, nicht auf Bruder Esau, der auf brave Weise gewöhnlich lebte. Die Bibel verschweigt solche Ungereimtheiten nicht. Womöglich ist sogar ihre größte Stärke, dass ihr unmittelbarster Glaubensausdruck der des Protestes ist, der Aufschrei gegen die Ungerechtigkeit? Und das ist etwas völlig anderes als das, was heute mitunter als Glaube verstanden wird, nämlich das Übergießen des Skandalösen mit dem Zuckerguss einer angeblich allumfassenden Liebe, der jene knebelt, die kaum noch Luft bekommen.

Jesus schmeichelt Gott nicht

Man muss nicht die Ausrottung ganzer Völker anführen, um darauf zu kommen, dass ein „Gott-findet-alle-nett-Glaube“ die Realität umlügt. Es genügt schon zu erwähnen, dass ein Kind, das seinen Vater verliert, kurz darauf an Krebs erkrankt. Oder dass Hiob, der Edelste unter den Guten, auf eine Art Böses erfährt, die wie eine göttliche Verhöhnung jeden guten Willens wirkt. Oder wie der Schriftsteller Günter Franzen in „Zeit des Zorns“ angesichts des qualvollen Sterbens seiner Frau konstatiert: Was sich Gott an Grausamkeiten ausdenke, darauf könne kein Mensch kommen. Gott – ein Verbrecher? In der Bibel wird dieser Gedanke nicht ausradiert. Und das vielleicht Überraschendste daran: Er hat eine Adresse – Gott selbst.

Denn nicht nur Gott kritisiert das Verhalten von Menschen, sondern auch umgekehrt: Menschen kritisieren Gott, bei Hiob ist das etwa so und in den Psalmen. Mose und Abraham wiederum wollen Gott seinen zerstörerischen Willen mit Verhandlungsge-schick austreiben. Dem Evangelisten Markus zufolge sind auch Jesu letze Worte alles andere als eine Schmeichelei in Richtung Himmel: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Auch Jesu Leben war nicht schlecht, er wollte Gutes. Wie er endet, ist nicht gut. Und die frohe Botschaft daran ist, dass jeder Jesu schreiende Gotteskritik bis heute nachlesen kann.

Protest statt Zuckerguss: Gott tötet schlimmer noch als Menschen

Und doch: Auch das gehört zu den unerklärbaren Ungereimtheiten es Lebens, dass jene, die Kritik und Wut nicht scheuen, zuweilen zu einem „Ja. Trotz allem“ finden. Wer die Abgründe Gottes erfährt und sich von Menschen verlassen fühlt, hofft manchmal umso mehr – nicht auf Menschen, sondern auf den Höchsten: Immer noch und endlich wieder – wie ein Kind. Hiob gibt den Kampf auf. Er hat alles erreicht, nämlich nach menschlichem Ermessen Gott überführt, indem er sagt: Du tötest, schlimmer noch als Menschen. Das Schlimme bleibt, das Leben auch. Und die Hoffnung, dass sich der ungeheuer Mächtige freundlich zeige.

Davon erzählt das Buch Jona: Die Menschen einer großen Stadt handeln schlecht. Jona, der Prophet, kündigt Gottes Strafe an. Die Menschen bessern sich, Gott freut sich. Jona allerdings wird depressiv, völlig antriebslos, weil ihm seine Arbeit umsonst erscheint, da der Himmel seiner Predigt keine Taten folgen lässt. Da ist es Gott, der wie ein Kind in Jona die Güte aufspüren und ihn aus seiner konsequent kritischen Haltung befreien will: „Sollte mich nicht jammern um eine so große Stadt, in der mehr als hundertundzwanzigtausend Menschen sind, dazu auch viele Tiere?“