Religion und Poesie
Geboren für diesen Augenblick

Etwas, das entzündet und Sinn verspricht: Danach sehnen sich viele Menschen wie nach kaum etwas sonst. Friedrich Karl Barth, der am 7. Februar 85 Jahre alt wird, kennt Worte, denen das gelingt. Sie haben mit einer Sphäre zu tun, die viele als kaputt ansehen. Wenigstens scheinen ihnen die Institutionen, die auf sie verweisen, reichlich angeschlagen, längst überholt von den gegenwärtig drängenden Fragen. Barth jedoch rückt angeblich verbrauchte Worte in andere Zusammenhänge. Und dann klingen sie, als wären sie gerade zur Welt gekommen. Geboren für diesen Augenblick.
Von Tausenden gesungen
Der Poet, der Pfarrer in Bad Hersfeld, Frankfurt und Bad Wildungen war, hat Lieder gedichtet, die Tausende auf Kirchentagen singen. Sie sind in Liederbücher eingangen, auch ins katholische Gotteslob und ins Evangelische Gesangbuch. Das im Deutschen wohl meist gesungene Tauflied stammt von Peter Horst und ihm. Zuweilen wird er „Meister der Kirchenmusik“ genannt. Was ist meisterhaft an ihm? Dass er dem Alten traut. Nur geschieht es so, dass das für die Zukunft Erhoffte heute Kraft gewinnt. Das Lied „Sag mir, wann ist Advent?“ ist dafür beispielhaft.
Mehr als eine Kalenderphase
Wie fast schon sprachlos beim Stichwort Advent selbst religiös Überzeugte manchmal wirken, zeigte sich vor einigen Jahren. Man stritt dafür, eine Kalenderphase korrekt einzuhalten. „Advent ist im Dezember“, lautete der Slogan. Und heute? Da scheint noch immer nicht übermäßig viel erwartet zu werden. Selbst eine Professorin der Theologie, befragt nach dem Hoffnungspotenzial des Advents, verweist dann auf Zahl und Zunahme der Kerzenflammen am Adventskranz. Nur ob das korrekte Befolgen eines religiösen Brauchs es mit einem Wort aufnehmen kann, das entzündet und Sinn verspricht?

Dem Staunen folgen
Das Lied „Sag mir, wann ist Advent?“, verfasst von Ursula Barth und Friedrich Karl Barth, ist gegen das korrekte Begrenzen des Advents. Oder besser gesagt: Fatal wäre es, im Kalenderischen und religiösen Brauchtum verloren zu gehen. Das wird nicht einmal ansatzweise angesprochen, sondern gelassen übergangen. Oder nein! Nicht gelassen, sondern eher mit dem schönen Furor, nicht weniger als alles zu erwarten. Der Advent sollte immer sein, hoffentlich bald. Sofort! Mehrfach taucht das kindlich wirkende „Sag mir, wann ist Advent?“ auf. Natürlich kann damit die Frage nach dem Beginn der Adventswochen gemeint sein. Nur denken gerade kleine Kinder – das ist ja ihre Größe! – noch nicht allzu chronologisch. Von den Zeigern der Uhr lassen sie sich nicht gefangen nehmen. So zielt ihre Sehnsucht in den Ursprung des Advents, fragt grundlegend, angefeuert von der Ahnung, dass die Welt zum Staunen und – warum nicht? – bald schon Großes möglich ist.
Gezeichnet, aber frei
Antworten enthalten die Sätze, entstanden 1977 und vertont von Peter Janssens, viele. Sie sind erschütternd aktuell. Advent ist, wenn die Gefangenen aus ihren Kerkern kommen, „gezeichnet, aber frei“. Sag mir, wann ist Advent? “Wenn die Unterdrückten ihr Recht in die eigenen Hände bekommen und menschlicher damit umgehen als ihre Unterdrücker.“ Die Antworten sind pointiert. Die Pointierung aber lässt im Augenblick des Hörens eine Entgrenzung erfahren. Als ob sich etwas in einem öffnen würde, eine ungeahnte, vielleicht vergessene Weite. Wie wenn sich ein Weg ins Freie zeigt. Und eine Erwartung von kindlichem Ausmaß wächst. Etwas beginnt sich jedenfalls zu lösen. Endlich. Es sind die Fesseln der Sprachlosigkeit.
Ende der Kraftmeierei
Eine solche Lösung gelingt, weil Barths Worte keine Diskussionsbeiträge sind, keine debattengewieften Statements oder das Fazit langfristig angelegter soziologischer Analysen. Es sind auch nicht politische Slogans, mag ein allzu rascher Blick auf das jahreszeitenunabhängige Adventslied das auch nahe legen. Was ist es dann? Poesie, ein Verdichten, das Verrücken von Worten weg von den gewohnten Zusammenhängen. Ein Ausscheren aus den hilflos machenden Bahnen festgezurrter Denk- und Wortfolgen. Damit sind Barths Verse dann doch wieder politisch. Und nachhaltiger als alle Kraftmeierei, auf jeden Fall hoffnungsvoller. Sage mir, wann ist Advent? „Wenn unsere Mutter, die Erde, Platz hat für alle und wir Menschen sie hüten wie unser Kind“.
Geboren für diesen Augenblick
Die Wirklichkeit spricht oft dagegen, dass Advent ist oder irgendwann werden könnte. Auch das Lied selbst tut nicht so, als ob da keine Skepsis wäre. Schließlich lässt sich das oftmalige “wenn” nicht nur temporal, sondern ebenso konditional verstehen. Andererseits bekommen jene, die mit wachsender Verzweiflung keine Antwort finden auf die Frage, wann ein wohlwollender Umgang mit der Erde und unter den Menschen denn endlich einmal konkret beginnt, ein Bild geschenkt. Geboren für diesen Augenblick. Längst ist es real. Denn viele sind es, im Prinzip alle, die wissen, wie das geht: Ein Kind hüten. Es geht. Ganz von selbst.
Dann ist Advent
Das lösende Wort lässt sich kaum erringen, es fällt einem eher zu, hat Barth einmal im Bayerischen Rundfunk gesagt. Allerdings geschehe das meist dann, wenn man die Qual eigener Sprachlosigkeit nicht mit antrainierter Eloquenz übergehe, sondern in unauslotbare Tiefen absteige. Und mit denen weint, die auch nicht wissen, wohin mit ihren Tränen. „Sag mir, wann ist Advent? Wenn die Kaputten ganz werden, wenn die Durstenden satt zu trinken haben, wenn die Seher glücklich sind und träumen … dann ist Advent.”

Immer klingen Lieder
Mit seinen Versen wolle er keine Tradition begründen, hat Barth wiederholt gesagt. Das führe nur zu einer neuen Erstarrung. Allerdings könnten sie die Nachkommenden anregen, ihre Worte dafür zu finden, was das heißt: Gott kommt. Ein Lied wie „Sage mir, wann ist Advent?“ lässt vermuten: Die Jungen werden noch lange Lieder des Alten singen.
Fotos, Musik, Text
Der vollständige Text des Liedes “Sag mir, wann ist Advent?” von Ursula Barth und Friedrich Karl Barth findet sich im Buch “Flügel im Augenblick”, veröffentlicht im Strube Verlag. Die Musik dieses Beitrags stammt von Peter Janssens, die CD mit dem vollständigen Lied ist beim Peter Janssens Musikverlag erhältlich. Die Fotos stammen von Inge Werth (1) und Georg Magirius (2).