Spirituelle Wanderungen, Stille

Lärmkollaps bei Stilletour

Marktplatz in Hammelburg. Ziel der Wanderung, für die galt: Lärmkollaps bei Stilletour.

Eine Welle Menschen schwappt aus der Saaletalbahn auf den Bahnsteig in Hammelburg. Sofort wird Musik aufgedreht. Männer mit Landbierflaschen in der Hand dirigieren Kinder zum Fluss. Sie haben dasselbe Ziel wie der Apfelweinkanister, der unter Jugendlichen von Hand zu Hand wandert und bald ins Kanu, das die Fränkische Saale flussabwärts schwanken wird. – Wer jetzt nicht laut ist, wird den Anschluss an die Mitte der Gesellschaft auf lange Zeit verlieren. Das scheint das Motto an diesem sonnenüberfluteten Spätsommer-Samstag 2019 zu sein, bei dem 20 Wanderer der Reihe GangART bei ihrer Stilletour beinahe einen Lärmkollaps erlebten. Aber eben nur fast.

Sie kennen kein Piano

Lärmkollaps bei Stilletour - Jetzt bleibt der Lärm im Tal - Weinberge bei Hammelburg

Auf dem Marktplatz rollt bei der 17. Hammelburger Bocksbeutel-Rallye Oldtimer um Oldtimer vor die Augen des Publikums. Ein alles andere als altersmüdes Feuerlöschauto überprüft gleich mehrfach, ob sein Horn noch heute in Alarmstimmung versetzen kann. Es sticht allerdings kaum heraus, ist es doch nur eine Stimme der weit über Hammelburg aktiven Samstags-Philharmonie. Ihre Instrumentengruppen Kreissäge, Kärcher und Rasenmäher kennen kein Piano. Und dann? Inmitten des Geräuschgewühls geht der Protest los, ein Aufstand! Besser gesagt handelt es sich um einen Aufgang, den Ausstieg aus dem Druck, diesen Sonnentag an seinem Ende als effektvoll und doch auch effektiv genutzten Freizeittag verbuchen zu können.

Provozierend leise

Der Aufgang ist so unmerklich leise, dass gerade das das erregend Provozierende ist: 20 Wanderer und Tagespilgerinnen aus Bad Kissingen, Aschaffenburg, Arnstein, Frankfurt, Hainburg, Hammelburg, Karlsruhe, Fuchsstadt, Burdkardsroth und Seligenstadt haben sich für die Spirituelle Wanderung „Ruhe in der Weinstadt“ angemeldet. Die Leitung hat der Theologe und Schriftsteller Georg Magirius. Schweigend spazieren die Stillegänger durch die Weinberge und Kiefernwälder oberhalb von Hammelburg, begleitet von prägnanten Worten aus Magirius‘ gerade herausgegebenem Buch „Stille erfahren“.

Nach dem Verklingen

Herstellen oder erzwingen lasse sich die Stille nicht, findet Uwe Kolbe. „Stille ist die Überraschung.“ Sie finde sich zum Beispiel im Wald, wo Geräusche nichts von einem wollen und einen zu nichts auffordern, meint Bernardin Schellenberger. Und für Arnold Stadler gibt es keine hörbarere Stille als die, die dem Verklingen einer Stimme folgt oder einer Bach-Orgel an einem Sommerabend. Sie finde sich auch beim Lesen, dieser ungreifbar großen Abkehr und Einkehr, die einsam und beziehungsstark in einem sei. Von der man nichts habe, und doch sei sie so viel: „Es ist wie bei der Liebe. Ein Buch und zwei Augen. Mehr nicht.“

Stille Sicherheit

Blick auf Amalberga

Wer liest, kann aufrecht und sicher stehen. Und weit reicht außerdem der Blick. Das würde Amalberga vielleicht sagen, jene Skulptur, die mit aufgeschlagenem Buch auf einer Klippe des Ofentaler Berges steht. Aber sie schweigt. Mit ihrem Schweigen spricht sie die Stillegänger paradoxer Weise an. So rasten sie bei ihr und schauen in die Ferne. Und nach dem Kosten weit gereifter Trauben wartet schon wieder der Abstieg ins Tal. Verbunden mit der Anregung, dass man das Forte an Geräuschen vielleicht gar nicht immer bekämpfen muss. Es lässt sich auch übergehen.

Liebenswerter Lärm

Und manchmal kann man sich den Lärm sogar vertraut machen. Das legt jedenfalls die von Amet Bick erzählte Geschichte nahe, in der Mönche in ihrem Waldkloster wegen eines vom Wind herbeigewehten Dauerlärms nicht mehr zum Meditieren kommen. Schließlich suchen sie die Quelle der Unruhe und finden im Tal ein Fest mit Menschen, die sich alles in allem als liebenswert entpuppen. Und die Absteiger der Stille feiern mit, durchstreifen Gassen, Cafés, Wehrgänge, Kirchen und Parks. Und als es Abend geworden ist, fließt das Wasser der Saale noch immer gemächlich still das Tal hinab.

Die Reihe GangART

GangART ist eine von Georg Magirius begründete Reihe spiritueller Tagestouren durch Rhön, Odenwald, Steigerwald und Spessart. Aber auch durch Haßberge, Taunus, Schwarzwald und das Fränkische Weinland. Resonanz erfährt GangART zum Beispiel in Publik-Forum, im Reiseblatt der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und im Rucksackradio des BR. Außerdem im Deutschlandfunk, im Mainfrankenmagazin Tiepolo und im HR, Informationen zu aktuellen Touren sind hier.

Stille erfahren

Die Tour in Hammelburg ist übrigens inspiriert vom Buch “Stille erfahren“. Georg Magirius hat es im Herder Verlag veröffentlicht. Dr. Esther Schulz und Jochen Fähndrich haben es lektoriert. Das Buch enthält Beiträge von Amet Bick, Manuela Fuelle und Uwe Kolbe. Aber auch von Georg Magirius, Ann-Kristin Rink, Bernardin Schellenberger und Arnold Stadler. Die Fotos des Beitrages “Lärmkollaps bei Stilletour” stammen von Petra Mathein und Georg Magirius.