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Ein Sommer ohne Rasenmähen

Schriftstellerin Barbara Handke, fotografier von Kristin Stock. Ihr Buch "Sommergäste" handelt von der Sehnsucht, Beispiel: Ein Sommer ohne Rasenmähen.

Wie wäre es wenn man noch einmal ganz anders leben könnte? Dann behielte man, was einem Orientierung gibt. Sagte aber Nein zu dem, was einschränkt und beschränkt. Und das Ergebnis wäre womöglich: Ein Sommer ohne Rasenmähen.

Faible für Birnbäume

Von solch einer Verwandlung handelt die in der edition überland veröffentlichte und mit dem Preis des Literatufests Meißen ausgezeichnete Erzählung „Sommergäste“ von Barbara Handke. (Foto: Kristin Stock) Im Mittelpunkt Hubert, 31. Er arbeitet bei der Post, steht um vier Uhr morgens auf. Und am Nachmittag und Abend unterstützt er seine Mutter, die eine Pension betreibt. Gerade damit ist er aber nicht im Reinen. Zu oft hat er den Rasen zu mähen, ständig gilt es Gäste zu grüßen. Lieber ginge er häufiger angeln, kletterte im Birnbaum herum. Oder führe mit Vera, einem der Gäste, ans nahe Meer: „Sie ist nett, aber dumm, und ich freue mich schon, wenn sie ihren Bikini anzieht.“

Fahrrad mit Rückspiegeln

Hubert Buchcover von "Sommergäste" von Barbara Handke, verlegt in der edition überland, Grafik von André Martini. In dem Buch geht es um die Sehnsucht, zum Beispiel; Ein Sommer ohne Rasenmähen.

Allerdings ist Vera verheiratet. Hubert ist direkt, dann wieder umständlich und zögerlich. Er kann sehr gut rechnen, hat die Geburtsdaten und Adressen sämtlicher Gäste im Kopf und ein Faible für komplizierte Wörter. Weshalb er aber noch lange nicht der zu der einseitig kognitiv ausgerichteten Spezies Mann gehört, die Probleme damit hat Gefühle zu haben oder sie zu zeigen. Hubert hat fast kindlich große Wünsche! Da ist der Traum von einem blauen Fahrrad mit Rückspiegeln. Oder in einer kleinen Hütte im Wald mit einem Hund zu leben. Und sein Freund wohnt in einer anderen Hütte im Wald, „sodass wir uns immer besuchen können.“

Wider die Lebensverkleiner

Indem Barbara Handke die Geschichte eines Sommers aus der Sicht von Hubert erzählt, sagt sie auf raffinierte Weise Nein zu all jenen, die sich durch unfügsame Menschen zum Herumdoktern animiert fühlen: Psychologinnen, Aktions-Journalisten mit Sinn für die sogenannten weichen Faktoren des Lebens, Medizinerinnen, Soziologen und Pädagoginnen fürs Soziale. Sie küren einen sich vom Grau abhebenden Menschen gern zum Gegenstand ihres angeblich wohlmeinenden Interesses. Sie verteidigen oder problematisieren ihn, wollen ihm fortlaufend helfen, ihn besser verstehen lernen, wie sie sagen. Und dank ihres systemischen Blicks aufs angespannte Geflecht der Gesamtsituation zur Entlastung und Optimierung des Hilfsobjekts beitragen.

Feierabend

Dabei ist Hubert einfach „ein bisschen anders als andere“, sagt seine Mutter: „normal, aber eben anders“. Worin besteht das Andere? Dass Hubert an seinem Lebensziel festhält. Er wünscht, immer wenn er mit seiner Arbeit bei der Post fertig ist, „dass ich Feierabend habe und machen kann, was ich will.“ Barbara Handkes Erzählung Sommergäste hat die Kraft, im Leser eben gerade diesen Wunsch wach zu halten, die Sehnsucht nach Freiheit – und eines Tages auch so normal und ein bisschen anders zu werden wie Hubert.

Barbara Handke, Sommergäste. Erzählung, Hardcover, Gestaltung: André Martini, 144 Seiten, ISBN 978-3-948049-01-0, 18 Euro, edition überland, Leipzig 2019.