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Die antifeministische Feministin

Antje Schrupp - Foto von Heike Rost

Sie ist gewiss eine der wirkmächtigsten Feministinnen in Deutschland, die Politologin, Bloggerin und Journalistin Antje Schrupp. Am 23. November 2025 erhält sie in Darmstadt den renommierten Luise-Büchner-Preis. Wenn also jemand die Zugehörigkeit zu einer Gruppe verkörpert, dann sie, könnte man meinen. Doch ihr neues, im Ulrike Helmer Verlag veröffentlichtes Buch „Unter allen Umständen frei“ zeigt, dass der Titel auch für die Autorin gilt. Mithilfe der Lebensdarstellungen der Sozialrevolutionärinnen Victoria Woodhull, Lucy Parsons und Emma Goldman wird Schrupps Leitlinie deutlich: sich nämlich auf keine Leitlinie zu versteifen. Gleichberechtigung oder Feminismus – das ergibt für sie keinen Sinn, falls Gruppencodes und Etikette zu Leblosigkeit oder Lieblosigkeit führen, zu Gesprächsarmut oder einer Geschwätzigkeit, der es um ein bloß äußeres Eintreten für die richtige Sache geht, ganz ohne Aufmerksamkeit für das, was in einem selbst und anderen lebendig werden will.

Für eine andere Politik

Woodhall, Parsons und Goldmann sind für Schrupp „Originale, Individuen, nicht Vertreterinneren einer bestimmten Perspektive oder sozialen Gruppe.” Ihnen gehe es nicht um Feminismus in Form einer Gewährung oder Steigerung einzelner, gewiss hilfreicher Rechte für Frauen. Das kümmert sie kaum, wenn es auf Kosten anderer Benachteiligter geht. „Sie wollen eine andere Politik, sie kämpfen, jede auf ihre Weise, für eine bessere Welt und ein gutes Leben für alle.“

Das gute Gegenteil

Was aber ist das gute Leben für alle? Das ist wandelbar, verhandelbar. Manchmal ist es sogar das vermeintliche Gegenteil der eben noch als sinnvoll erkannten Strategie, das gute Leben für alle anzustreben: wenn es sich dabei nämlich um das Wiedergeben vorgestanzter Wahrheiten im Verlautbarungsmodus handelt. Das macht eine Erfahrung Emma Goldmanns deutlich, die Antje Schrupp anteilnehmend schildert. In einem Vortrag tritt die Rednerin für das künftige gute Leben ein, für große Umwälzungen, die doch so viel mehr bewirken werden als Reförmchen, die den Status Quo eher verfestigen. So weit, so richtig, sagen Redemanuskript und Gruppenauftrag. Wenn es sich nicht falsch anfühlen würde.

Fürs Lesen und Spazierengehen

Denn die Rednerin ist aufmerksam für die Menschen im Saal. Bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Womöglich auch wegen ihres Aufmerkens steht in Reihe eins ein Mann mit weißem Haar und abgehärmten Gesicht auf. Er verstehe den Kampf für die freie Gesellschaft, sagt er. Nur werde er sie nicht mehr erleben. Warum das Eintreten für einen 8-Stunden-Tag lächerlich machen? Für ihn wäre es überhaupt nicht wenig, fände er dann doch etwas Zeit zum Lesen und Spazierengehen.

Stetes Weiterdenken

Die 20-jährige Frau auf ihrer ersten Vortragstour folgert aus dem Redebeitrag eines alten Mannes, schreibt Schrupp, Linientreue niemals mehr als Tugend anzusehen. „Sie wird ihre eigenen Intuitionen ernst nehmen, vor allem aber das, was sie beobachtet, was sie im Gespräch mit Menschen erzählt bekommt, die in dieser Welt kaum Chancen haben. Sie wird genau hinsehen und sich ein eigenes Bild von den Verhältnissen machen.“ Antje Schrupps Buch “Unter allen Umständen frei” zeigt, was Menschlichkeit über Gruppengrenzen hinaus konkret bedeutet. Es ist eine eindrucksvolle Weigerung, irgendetwas nachzuplappern. Und ein konstrukives Ja dazu, andere, aber eben immer auch sich selbst stetig weiterdenkend zu hinterfragen.