Franken, Spirituelle Wanderungen

Springen von der Spessartschanze

Mentale Vorbereitung auf der Skipiste, aber dann: Pilger springen von der Spessartschanze - Foto von Georg Magirius

Angekündigt ist die Tour als Adventswanderung im Spessartwald. Aber bald hält es niemanden mehr am Boden. Denn die Pilger springen von der Spessartschanze. Das ist kein Märchen, sondern Wahrheit. Für sie bürgt der Leiter der spirituellen Wanderung, der Theologe, GangART-Gründer und Erzähler Georg Magirius. Und weil er außerdem als Journalist arbeitet, fühlt er sich ohnehin dem Gebot der Faktentreue verpflichtet. Der Vorabend des 3. Advents 2021 geht jedenfalls als Tag der Verwandlung in die Pilgerhistorie von GangART ein. Ihn erleben 20 Wanderinnen und Teilnehmer aus Alzenau, Heigenbrücken, Hösbach, Haibach, Neuhütten, Sailauf, Kleinostheim, Frankfurt, Mainhausen, Seligenstadt, Klein-Krotzenburg und Hofheim im Taunus.

Schleichen auf dem Wildschweinpfad

Gleich zu Beginn zeigt die Verwandlungslust ihr Können. Denn vom asphaltglatten Parkplatz am Bahnhalt Heigenbrücken geht es übergangslos auf einen schmalen Wiesenpfad. Seine Nässe ist kein Feind, der eroberungswütig in die Schuhe eindringt, sondern vielmehr der Grund, der den Adventsgängern ein erhebend weiches, fast lautloses Gehen ermöglicht. Und das unter der Schirmherrschaft der Markierung Wildschwein.

Baum der Erkenntnis, Station der Adventswanderung "Pilger springen von der Spessartschanze" - Foto von Georg Magirius

Frieden im Jagdgebiet

Bald ist der Baum der Erkenntnis erreicht, der noch am Jahresende Äpfel trägt. Allerdings steht er nicht im Paradies, sondern im Schießgebiet. Jägerhochsitz und Futterstelle in der Nähe erinnern daran: Die Tage vor dem Fest gelten als Hochzeit der Zielorientierung. Man nimmt die Weihnachtstage ins Visier und jagt Geschenken nach, bis man sich selbst wie ein Gejagter vorkommt. Die Früchte des Baums allerdings fallen den Adventsgängern ohne Einsatz von Waffen zu.

Alter Speierling: Station der Adventswnderung "Pilger springen von der Spessartschanze" - Foto von Georg Magirius

Ein Gruß aus dem Lande der Gelassenheit

Aber wie lautet die Erkenntnis der Äpfel? Antwort: Die Kostbarkeit des Lebens muss nicht nach Lebkuchen, Schokolade oder Marzipan schmecken. Adventsuntypisch ist der Geschmack der gelben Früchte. Die Mienen können selbst beim besten Willen nicht die Contenance wahren. Andererseits schmecken die sauren Früchte des alten Speierlings wiederum so erfrischend zitronenartig herb, dass ihr Vitamin C die Sicht auf die Weihnachtstage verwandelt. Sie wirken wie ein Gruß aus dem Lande der Gelassenheit.

Aufwärtsschwung

Mit jedem Schritt nimmt die Erwartung zu. Selbst dort, wo die Pilger keinen Schritt vorwärtskommen. Auf der Piste des Skigebietes Winterloch stehen sie still. Dank einer Wunschminute erhält das Sehnen einen Aufwärtsschwung. Der Blick geht zu schneeweißen Höhen, tief nach innen oder in den Wald, wo die Nadelbäume knistern. Da ist es ein Leichtes, wenige Schritte weiter den Schanzenrekord der Spessartschanze zu knacken. Womit ganz nebenbei das Buch „Stilles Franken“ widerlegt ist, das behauptet: Sepp Grill aus Österreich halte mit 38 Metern den Schanzenrekord uneinholbar, weil die Schanze 1968 nach dem letzten Springen abgebaut wurde. Aber der Anlauf ist heute noch zu sehen. Und so stehen sie ganz oben, die Sehnsüchtigen.

Ehemaliger Anlauf der Schanze
mit dem farnüberwucherten Rest
des Schanzentischs.

Leichtsinnig wie Engel

Georg Magirius, Leiter der Tour "Pilger springen von der Spessartschanze"

Und stark wie Kinder und leichtsinnig wie Engel schauen die Erwartungsfrohen am Weihnachtsbäumchen vorbei steil nach unten, wo der von Farn umwucherte, hölzerne Schanzentisch zu entziffern ist. Und jetzt! Sie gleiten abwärts, nehmen Fahrt auf, rasen auf den Absprung zu, heben ab und schweben! Nur die exakte Rekordzahl ist nicht aufgezeichnet. Denn sämtliche Weitenrichter vergessen zu messen. Sie staunen. Einige der Pilgerspringer bekommen sogar erst im Gasthaus „Zur Frischen Quelle“ in Heigenbrücken wieder festen Boden unter ihre Skier. Und das sind nachweislich mehr als 38 Meter. Wobei man dort erneut ins Schweben gerät. Denn Gabriele Hoffmann und Schauspielerin Petra Mathein tragen Gedichte von James Krüss und Matthias Claudius vor. So geht erneut „ein Wispern und ein Flüstern in den Tannenbäumen los, ein Gekicher und Gesumm ringsherum.“ Denn die Freude ist zur Welt gekommen. „Und wer noch fragt: Wieso? Warum? Der ist dumm.“

Das widerlegte Buch: Stilles Franken – 24 Adventsorte

Die Adventswanderung „Pilger springen von der Spessartschanze“ ist die 50. Tour der Reihe GangART, die Georg Magirius 2009 ins Leben rief und durch Spessart, Odenwald, Rhön, Schwarzwald, Steigerwald, Haßberge, Taunus, Frankfurt und Fränkisches Weinland führt. Die Wanderung ist dank des neuen Schanzenrekords auserdem eine korrigierte Fortschreibung des im Würzburger Echter Verlag veröffentlichten Buches „Stilles Franken. 24 Adventsorte“. Die Fotos stammen von Georg Magirius (7) und Petra Mathein (3).

Weitere Fotos zur Tour “Pilger springen von der Spessartschanze”