Biblisches

Jüdische Weisheit für Krisenzeiten

Jüdische Weisheit für Krisenzeiten - an der Universität in Münster hat Erich Zenger sie zur Sprache gebracht - Schloss der Uni
Paradox: Der die Niederungen nie übersah, lehrte in einem Schloss

Die Spiritualität der Hebräischen Bibel entfaltet eine besondere Kraft in Krisenzeiten. Das hat der Theologe und Schriftsteller Georg Magirius im Westdeutschen Rundfunk in der Sendung „Diesseits von Eden“ gesagt. Er erinnert damit an den international renommierten Alttestamentler Erich Zenger. Er lehrte von 1973 bis 2004 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster, an einem der größten theologischen Fachbereiche der Welt. Am 4. April 2010 ist er gestorben. Ein besonderes Augenmerk seiner Arbeit galt dem Buch Hiob und dem der Psalmen. Gerade in diesen Büchern zeigt sich die Jüdische Weisheit für Krisenzeiten.

Die jüdische Mitte des Christentums (WDR5)

Alles im Griff?

Für Zenger war das Alte Testament oder – wie er lieber sagte – das Erste Testament eine Schule, dank der sich lernen lasse, Ja zu sagen, das Leben und Gott zu feiern. Das werde möglich, weil die Jüdische Bibel Krisenzeiten nicht übergehe. Sie wünsche nicht „Bleib gesund!“, was in Wahrheit gar kein Wunsch sei, sondern eine Befehlsform und damit so tue, als ob der Mensch selbst in Katastrophenzeiten alles im Griff habe: sich selbst, die Gesundheit und am besten auch noch Gott. Die jüdische Spiritualität hingegen gestehe dem Menschen das Recht zu, sich am Boden zu fühlen: „ausgeschüttet wie Wasser“, das Herz im Leib „wie zerschmolzenes Wachs“, wie es in Psalm 22 heißt:

Nähe suchen

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, das ist im normalen Sprachgestus ein Widerspruch. Das ist kontradiktorisch. Entweder hat er ihn verlassen. Dann braucht er auch nicht mehr zu fragen – und kann er auch nicht mehr sagen: Mein Gott.  Wenn er sagt: Mein Gott, und ich möchte haben, dass du Gott bist und du möchtest selbst, dass du mein Gott bist – aber jetzt in dieser Situation, erlebe ich dich nicht als mein Gott, sonst wäre ich nicht so verlassen und verstoßen, verfolgt, verängstigt. Das ist also der Versuch, die Gottesnähe zu finden oder überhaupt erst zu suchen.

Erich Zenger

Das Manuskript des Beitrages vom 5. April 2020 ist hier. Die Redaktion hat Theodor Dierkes. Das Foto stammt von Erich Westendarp. Der Beitrag, aufgenommen im Tonstudio der Heilspraxis in Frankfurt am Main, hören: