Abschied

Ein wundervolles Leben in Grau

Katrin Schmidt, ein Porträt. Ihr Buch erzählt ein wundervolles Leben in Grau.

Grau hat einen schlechten Ruf. Wer Katrin Schmidts Buch „Gehalten, wenn nichts mehr hält“ liest, empfindet die Farbe als wohltuend. Mit ihr widersetzt sich die Autorin allen möglichen Schwarz-Weiß-Schemata, weicht diese auf. Man gewinnt einen Blick für Facetten und Details. So räumt das Buch damit auf, dass Trauer, Liebe, Glaube oder am Ende auch noch Gott bestimmten Ordnungsmustern folgen müssen. Katrin Schmidt erzählt von ihrer Schwangerschaft, ihrer Tochter Dalia, die sie austrägt, obwohl sicher ist, dass diese eine schwere Krankheit hat.

Grundlegend

„Da war so viel Schockierendes, aber auch so viel Liebe“, konstatiert sie, als ihr Mann und sie das Ultraschallbild sehen. Sie entscheiden, mit ihrer Tochter leben zu wollen, die kurz vor, während oder kurz nach der Geburt sterben wird. „Schnell weg mit dem Problem“ – dieser Option folgen sie also nicht. Das Buch ist freilich kein auftrumpfendes Statement zu der gesellschaftsrelevanten Frage „Abtreibung“. Es geht stattdessen um die gesellschaftlich vielleicht noch viel grundlegendere Frage, wie Menschen miteinander umgehen, insbesondere wenn sie sich in Extremsituationen befinden.

Menschlich

Schmidt, Tochter eines Pastors, hat einen lebendigen Glauben. Aber sie ist sich nicht immer sicher. „Ich bin ein Mensch und der Glaube macht mich nicht zu einer abgebrühten Maschine, die mit ein paar Daten gespeichert ihren Weg geht und die Aufgabe erledigt.“ Andere dagegen scheinen sehr wohl sicher zu sein: „Toll“ sei das doch, dass sie das Kind austrage, hört sie. Das aber findet sie gar nicht toll, dass manche genau wissen, wie toll das sei. „Kann man ein Kind ‚toll‘ verlieren?“ Wissen andere, dass ihre Tochter im Mutterleib womöglich leide? „Jeder, der dieses Kind nicht im Bauch hatte, konnte leicht sagen, was gut ist.“

Ehrlich

Schmidt schildert mit staunenswerter Genauigkeit Zwischentöne, Stimmungen, Beziehungen – unaufgeregt, warmherzig und oft auch witzig. So wird das Buch zum Hort des Trostes für all jene, die nicht akzeptieren können, dass Menschen mit kostbaren Erfahrungen zurechtgerückt und in vorgegebene Bilder gezwängt werden. „Wenn ich nicht alles ehrlich schildern würde, müsste ich dieses Buch nicht schreiben.“ Also schreibt die Mutter von der Angst, ihren Glauben zu verlieren. Von tiefdunklen Tagen im Advent, der doch eigentlich von der Annäherung des Lichts durchzogen ist. Von Zusammenbrüchen. Wie sie an Heiligabend den Gottesdienst verlässt und draußen weint, weil immerzu von “Baby Jesus” die Rede ist, dem neugeborenen Kind in der Krippe. Ebenso ehrlich schildert sie, wie unterschiedlich und auf schmerzliche Weise zeitversetzt Vater und Mutter trauern können. Als sie spürt, dass Dalia in ihrem Bauch gestorben ist, erfährt sie Frieden. Spannung fällt ab. Und ihr Mann? Bei ihm erklimmt die Trauer den Gipfel, letzte Kräfte schwinden.

Heilsam

Genauso freimütig erzählt sie von der Bewegungsfreude ihrer Tochter im Bauch, von heilsamen Momenten und zu Schätzen gewordenen Worten. Von Trost, Begeisterung und Leidenschaft. Das findet sich mitunter in Situationen, wo es überhaupt nicht zu passen scheint, wie viele denken. So geht sie, obwohl sie lange Zeit Gesellschaften gemieden hat, mit dem nun gestorbenen Kind im Bauch auf die Geburtstagsfeier ihrer Schwester. Es lenkt ab, was in diesem Moment hilfreich ist. Den Gottesdienst wiederum, den sie gewöhnlich mit Hingabe besucht, meidet sie nach der Geburt wochenlang, genauso Supermärkte in ihrer Nähe. Aufatmen kann sie in der Natur.

Ausgestiegen

Auch wird nicht verschwiegen, dass die Eltern sich kurz vor der Geburt im Krankenhaus mit Freunden verabreden, um „Siedler“ zu spielen. Oder dass die Mutter, durch die Geburt verändert, aus bestimmten Beziehungssystemen aussteigt. „In Gesprächssituationen reagierte ich teilweise anders, unterstützte manches Gerede nicht mehr“. Einige reagieren irritiert, es „wurde nicht einfach so akzeptiert. Ich spürte dass manche sich wünschten, dass ich wieder so funktioniere wie vorher. Das konnte und wollte ich aber nicht.“

Stark

Katrin Schmidt hat ein starkes Buch geschrieben, das von der Schwachheit erzählt. Und vom Glauben, das hiesige Leben nicht zum Weiß verklären zu müssen: „Die Erde ist kein Paradies.“ Das ermöglicht, Grausames nicht schön zu reden. Jedoch: „Im Leid, was sich niemand wünscht oder selbst wählen würde, liegen meiner Erfahrung nach tiefe Chancen verborgen. Ich habe es so erlebt.“ Sie wird Dalia geheilt im Paradies wiedersehen, glaubt sie, im Himmel. Nur wie passt das zusammen? Solch ein himmelweiter Glaube und ihr Können, das Grau in kaum zählbaren Schattierungen präzise darzustellen? Ihre Antwort: „Bei Gott erde ich mein Leben“.

Informationen zum Buch

Katrin Schmidt, Gehalten, wenn nichts mehr hält. Meine Geschichte mit unserer still geborenen Tochter, mit einem Vorwort von Dr. med. Ute Horn, Neufeld Verlag, 158 Seiten, 14,90, ISBN 978-3-86256-072-1 (auch als E-Book) – Foto (c) Neufeld Verlag.