Biblisches, Liebesgeschichten

Die Legende vom Glück ohne Ende

Legende vom Glück ohne Ende - Ausschnitt des Beitrags von Georg Magirius über das Buch des Predigers und die Puhdys

Gelassenheit gilt als Tugend. Doch wenn die vemeintliche Gelassenheit zur Lähmung wird, sollte man das Glück erkämpfen. Das sagt Georg Magirius in seinem Beitrag “Die Legende vom Glück ohne Ende”. Er hat sie der Evangelischen Zeitung vom 13. Juli 2014 veröffentlicht. Beispielhaft für dieses Glücksverständnis seien die Puhdys. In “Die Legende von Paul und Paula”, dem erfolgreichsten Film der DDR, singen sie zwar die gleichmütigen Worte aus dem Buch des biblischen Predigers: “Jegliches hat seine Zeit”. Ulrich Plenzdorf allerdings, Texter des beliebtesten Liedes der Puhdys, widersetzt sich wiederum diesem Gleichmut, indem er ihn mit rebellischen Stimmen aus der Bibel veknüpft. Die Redaktion hat Sven Kriszio.

Der Beitrag “Die Legende vom Glück ohne Ende” von Georg Magirius

„Jegliches hat seine Zeit“ – ausgerechnet Worte aus der Bibel begeistern in einem Land, das überwiegend aus Atheisten besteht. Sie machen die Rockband „Puhdys“ bekannt und sind Teil des erfolgreichsten Kinofilms der DDR. Und sie stellen vor die Frage: Kann man das Glück erzwingen? Im Selbstverständnis der DDR war angelegt, nicht gerade dazu zu ermuntern, das private Glück zu suchen. In dem Kinofilm „Die Legende von Paul und Paula“ aber geschieht genau das! Erzählt wird eine entschieden verspielte Geschichte, die die real existierende Trostlosigkeit überlistet.

Allein im ersten Jahr erreicht der Film drei Millionen Zuschauer, heute ist er Kult, nicht zuletzt auch wegen des Titelsongs „Wenn ein Mensch lebt“. Das Lied mit den Worten des biblischen Predigerbuches macht die Band „Die Puhdys“ berühmt, es ihr bis heute beliebtestes Lied: „Jegliches hat seine Zeit, Steine sammeln, Steine zerstreuen, Bäume pflanzen, Bäume abhau’n, leben und sterben und Streit.“

Gleichmut und Rebellion

Dass die Worte den rebellischen Charakter des Films nicht schmälern, kann überraschen. Denn das Buch des Predigers strömt eher Gleichmut aus. Da findet sich kein Tonfall, der anstacheln würde, sich selbst oder den geliebten Menschen an den Haaren zu fassen. Um sich um die Erdenschwere nicht zu scheren. Stattdessen: Es sei doch längst schon alles da gewesen, lautet der Tenor. Nichts Neues unter der Sonne. Lachen hat seine Zeit, weinen hat seine Zeit. „Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.“

Ruhe in unruhigen Zeiten

In Zeiten der Unruhe können solche Worte gelassen machen. Aufgewühlte Gedanken kehren von hoher See zurück aufs Festland: alles halb so wild. Die Freude kommt wieder, mag momentan auch das Weinen herrschen. Nichts sollte man zu wichtig nehmen, auch sich selber nicht, weil der Lauf der Welt sich ohnehin kaum steuern lässt. Das Leben spielt im Zweiertakt: mal so, und dann auch wieder so.

Deprimieren kann das allerdings, wenn der Takt zum Gleichschritt wird. Aufbrechen, widerstehen, das Schicksal herausfordern, die große Chance im Leben auch mal erzwingen wollen? Dazu ermutigt der Prediger nicht. Wie er überhaupt alle großen Gefühle mit einem mildem Lächeln kommentiert, das alle Überschwänglichen beschämt. Wer tanzt, wird sofort stolpern, wenn er im Stil des Predigers zu hören bekommt: Ja, freu dich jetzt mal richtig, aber nicht vergessen: Es werden auch andere Zeiten kommen. Und wen die Ungerechtigkeit aufschreien lässt, wird nicht getröstet, wenn jemand den Hinweis gibt: Schreien hat seine Zeit, mein Lieber, aber bedenke, auch Gelassenheit hat seine Zeit, und zwar bitte möglichst bald.

Wer allein der Weisheit des Predigers vertraut, traut sich bald kaum noch etwas zu. Oder anders gesagt: „Alles hat seine Zeit“ – auch dieser Satz hat eben seine Zeit. Denn es gibt Tage, in denen man dieser Weisheit widersprechen sollte. Sonst wird der Mut zerstört. Und keine Zeit wird sich mehr finden lassen, die ihn heilen könnte. Die vielleicht größte Weisheit der Bibel besteht aber darin, dass sie sich in der Vielfalt ihrer Stimmen entfaltet. Fast direkt neben dem Prediger ist das Buch der Psalmen platziert. Da herrscht kein Gleichmut. Sondern ein „Sturmwind der Gefühle“, wie Luther sagte. Ob Wimmern, Schreien oder Übermut: jedes Gefühl erhält das Recht, die Gegenwart auszufüllen. Es ist mehr als eine nur halbe Sache, die stets zu relativierende Rückseite des Gegenteils.

Lieder der Straße

Der Prediger schreit nie, weil es ohnehin nichts nützen würde. Allenfalls erhebt er kultiviert die Stimme, weil jedem Tönen ohnehin bald schon wieder Stille folgt. Die Psalmen dagegen sind Lieder der Straße, Gesänge des Widerstands. Sie opponieren gegen jene, die den Eindruck vermitteln, dass im Leben alles vorgegeben sei. Die Beter der Psalmen wissen natürlich auch nicht, ob sie wirklich ihr Schicksal beeinflussen können. Aber sie wollen jede Chance nutzen. In ihnen lebt die Kraft, sich im Notfall mit allen anzulegen – nicht zuletzt mit Gott: „Was nützt dir mein Blut, wenn ich zur Grube fahre?“

Wider die Lähmung

Sich der Lähmung widersetzen – das will auch der Film „Die Legende von Paul und Paula“. Die Worte des Predigers darin bremsen das Widerständige nicht aus, weil die Puhdys sie wild und gelassen zugleich interpretieren. Dazu traut Ulrich Plenzdorf, der Autor des Songs, nicht den Worten des Predigers, sondern lässt sie zuweilen auch stolpern. Auf „Streit“ folgt anders als in der biblischen Vorlage eben nicht sofort der Friede, sondern erst einige Sätze später. Und er nimmt eine Stimme aus einer weiteren Weisheitsschrift der Bibel auf. Nämlich? Das Hohelied. Das heißt so, weil es als das höchste der Bibel gilt. Dabei handelt es sich um Gesänge voller Liebeslust und Glückssehnsucht, die nicht weniger als alles im Leben erhoffen. Nur eines gewiss nicht: dass man das Leben stets gelassen hinzunehmen hat.