Neues Leben

Sie war fast tot und schreibt

Amet Bick: Sie war fast tot und schreibt

“Mein starkes Herz” ist ein erschütternd witziges Buch vom Glück. Es beginnt mit dem, was als das Gegenteil von Glück gilt: Amet Bick ist 42 Jahre alt, als in ihrem Herzen ein nicht gerade kleiner Tumor entdeckt wird. Sie wird operiert. Und überlebt. In ihr bisheriges Leben möchte sie aber nicht zurück, zumindest nicht sofort. Denn jetzt will sie es wissen. Was? Alles. Ein Jahr gibt sie sich Zeit, um Glücksanbieter, Helferinnen und Heiler aufzusuchen. Sie war fast tot und schreibt. Ihr Ziel: Zufriedenheit. Bescheiden ist sie nicht: Sie möchte mehr als Glücksmomente finden.

Angenehm egozentrisch

Das Buch ist kein Ratgeber, kein Sachbuch, kein Roman, weder Erbauungsbuch noch wissenschaftliche Studie. Sondern? Sonderbar normal ist es. Nämlich so, wie es vermutlich gar nicht anders sein kann, wenn jemand dem Tod nahe gekommen ist. Denn das Buch ist egozentrisch. Klingt nicht gerade sympathisch, meint die Autorin, weil es in der Regel anerkannter sei, die ganze Welt oder zumindest einen Teil von ihr im Blick zu haben, sich um andere und anderes zu kümmern.

Letzte Worte: Ich bin in der Autowerkstatt

Die Konzentration der Perspektive aber sorgt für Weite. Das Erzählte spricht an, indem die Autorin nicht für andere spricht. Da gibt es also keine Ermunterungen, Mahnungen, Rezepte, Übungseinheiten, Tipps, Belehrungen. Indem sie streng persönlich ist, wird das Erzählte universal, was auf widersprüchliche Weise logisch ist. Denn der Tod ist etwas, das jeden mit jedem potenziell verbindet. Kommt Pathos auf, wird das nicht ironisiert. Und doch liest sich die Gefühlsverdichtung dann erfrischend leicht, weil die Erzählerin eine Begleiterin hat, die Skepsis. Dazu Witz: „Hier ist es wie in einer Autowerkstatt“, sagt die Patienten kurz vor der OP. Nicht wissend, ob sie wieder aufwachen wird. Später erinnert sie sich daran und ist unzufrieden: “Das also wären meine letzten Worte gewesen?”

Die UEKs der Kinesologin

Aber es geht nicht nur um Worte, sondern auch um den Körper – und um das richtige Verhältnis von Geist und Körper. So besucht sie eine Reiki-Meisterin, die ihre Künste in einem extrem gelben Raum anbietet. Noch wichtiger als die Farbe: Statt Stoffhandtücher benutzt die Reiki-Meisterin stets Einmal-Küchentücher aus Papier, damit die negative Energie nicht im Stoff hängen bleibe. Eine Kinesologin wiederum entdeckt bei der Klientin Störfelder, nämlich erstens: Gifte. Zweitens: Infektionen. Drittens: UEKs. UEK? Ungelöste emotionale Konflikte, auf die so gut wie jeder Zahn hindeuten könne. Das mache eher Angst, findet die Glückssucherin.

Knapp bemessenes Essen im Kloster

Hilfreicher sei da schon das Liegen auf dem Sofa. Oder das stille Sitzen, das Meditieren, das das Tempo der Gedanken drosselt. Auch Psychologin Maiwald (ein Künstlername?) hilft, weil sie Gedanken aus den gewohnten Bahnen entgleisen lässt. Dadurch entsteht im Innern Weite. In einem buddhistischen Kloster widerfährt die Autorin gar ein Glühen, da sind Licht und Leidenschaft. Alles wird auf einmal klar, alles ist geklärt! Was sie dennoch nicht davon abhält, dem Essen beziehungsweise dem Blick auf den Teller eine Bemerkung zu gönnen: „Die Summe meiner Teile war alles andere als eindrucksvoll.“

Lässt sich ein Orkan in eine Puppenstube sperren?

Die in Berlin lebende Autorin hat Literaturwissenschaft und evangelische Theologie studiert, an der Universität gearbeitet und ist Programmleiterin eines Verlags. Sie sei eher eine Rationalistin, schreibt sie. Eine narrative Rationalistin, lässt sich ergänzen, weil sie im Erzählen große Fragen – zum Beispiel die nach Gott – so einfach wie möglich macht. Wenn auch nicht einfacher. Alles, was sie über Theologie wusste, sei eine Theologie für gute Zeiten gewesen, konstatiert sie: Gott sei hübsch zusammenfaltbar gewesen, ins Leben einfügbar. Aber lässt sich, fragt sie jetzt, ein Orkan eigentlich in eine Puppenstube sperren?

Unerklärlich selbstverständlich

Ihr gehe es besser als vor der Krankheit, schreibt die Glückssucherin schließlich. Den Schlüssel zu einem unaufhörlichen Wohlfühlgefühl hat sie nicht gefunden. Dennoch kann sich beim Lesen – und nicht nur am Ende – ein Gefühl von Ankunft einstellen. Die angebliche Egozentrikerin erzählt nämlich auch so von sich, dass ihre Söhne und ihr Lebensgefährte ins Spiel kommen, dem das Buch gewidmet ist. Das geschieht so beiläufig und unaufgeregt, dass sich „Mein starkes Herz“ auch als Liebesgeschichte lesen lässt. Sie rührt, indem sie unerklärlich selbstverständlich ist.

Amet Bick, Mein starkes Herz, Aufzeichnungen einer  unfreiwilligen Glückssucherin, 224 Seiten, München 2013 € 16,99