Allgemein, Neues Leben
Mein innerer Schwarzwald

Historischer Roman? Nein, das ist der im Herbst 2025 im Ulmer danube books Verlag veröffentlichte Roman „Mein innerer Schwarzwald“ nicht, auch wenn er ins 18. Jahrhundert zurückreicht. Nur geht es der im Rhein-Main-Gebiet lebenden Autorin Sigrid Katharina Eismann nicht um das, was viele an historischen Romanen schätzen. Sie hoffen sich für einige Zeit aus dem Heute herauszuhieven, um in stringent erzählten alten Angelegenheiten so etwas wie Urlaub machen zu können. Nein. „Mein innerer Schwarzwald“ ist keine Erholungsreise, weil er die alten Zeiten und das Heute nicht auf Abstand hält, sondern ineinandergreifen lässt. Es ist nichts anderes als ein Akt des Widerstands. Der für Aufsehen sorgt: Gerade hat die Autorin ihr neues Buch mehrfach auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt, der Auftritt auf der Buchmesse in Wien steht an. Außerdem liest sie einige Male aus dem Roman im Schwarzwald, in Temeswar und Offenbach, begleitet von ungewöhnlichem Zuspruch und einem nicht selbstverständlichen Presseecho.
Salpeterer: rebellische Bauern
In dem Roman geht es um eine 270 Jahre zurückliegenden Deportation aus dem Schwarzwald. Sie ist heute nahezu unbekannt, kaum je bewusst geworden, gerade einmal von Einzelnen wahrgenommen. Kaiserin Maria Theresia persönlich ordnete an, 27 Familien aus dem Hotzenwald, dem Südschwarzwald bei Waldshut, in den Banater Sumpf zu verfrachten. Die Salpetersieder waren Handwerker, die das Pulver für die Herstellung des Schwarzpulvers sammelten. Dafür zogen sie von Ort zu Ort, um die Ausblühungen, den Kalisalpeter von Stallwänden zu kratzen. Sie waren aber außerdem freie Bauern, das wollten sie nicht aus ihrem Gedächtnis tilgen, sondern bestanden auf Freiheit, lehnten sich gegen Krone und Kirche auf.

Salpetern
Salpetern – das ist bis heute im Südschwarzwald ein Synonym dafür, sich zu wehren, wenn der Mund nicht mehr das Eigene sagen soll, am besten gar nichts oder nur noch das, was andere in ihn beratend legen oder eintrichtern, damit es dann am besten umgekehrt wieder in die Gegenrichtung austrete. Der Mund: ein Schalltrichter fürs Eingetrichterte.

Minderheit in der Minderheit
Die mündigen, frei- und eigensinnigen Salpeterer aber wurden in Ketten gelegt, über die Donau in die Region um Temeswar verschifft. Eine damals durch die Türkenkriege verwüstete und menschenleere Gegend. Sie waren dort eine Minderheit in der Minderheit. Kaum hatten sie etwas gemeinsam mit den sogenannten Donauschwaben. Diese waren dorthin freiwillig aufgebrochen, mitsamt ihren Traditionen und Trachten. Die Salpeterer dagegen sind Deportierte.

Abtauchen
Eismann ist 1964 in Temeswar geboren, eine Nachkommin der verschleppten Salpeterer-Familien. Sie begibt sich mit “Mein innerer Schwarzwald” in ihre Vorgeschichte. „Abtauchen in den Hotzenwald, Ahnen vertexten. Nicht in Helden und Legenden versteigen.“ So kommen Heute und Damals zueinander, aber auch Erfahrungen von ihr als Kind in der rumänischen Diktatur, aus der sie als 16-Jährige mit ihrer Familie emigrierte.

Hintergründe, Ur- und Untergründe
Der Hotzenwaldverlust ist nicht alt, sondern das Heimweh der Autorin und derer, die für ihre Unruhe keine Zügel wollen, noch nicht einmal geschenkt. Der Verlust verwebt sich mit dem Freisinn und dem Schmerzgespür vieler, die ihren inneren Schwarzwald nicht gerodet haben. Obwohl das doch oft empfohlen wird: das Abholzen von Dschungel, Urwald und innerer Geheimnislust, damit jetzt endlich einmal Klarheit herrsche! Die blanke Einfachheit! Und nichts als Licht und Ja und Amen dank Vernichtung aller Hintergründe, Ur- und Untergründe.

In allem aber Freigeist
Nein, „Mein innerer Schwarzwald“ ist kein historischer Roman, vielmehr ein Aufmerksamkeitsglück. Ein Hochempfindlichkeits-Kunststück, das sich allem Unterdrücken widersetzt, dem Vergessen, Verachten, Verblöden durch die Diktatur der Unempfindlichen. In ihr haben Minderheiten kein Recht zu existieren außer dem, die Empfindungslosen zur bestimmenden Mehrheit zu machen. Dagegen schreibt Sigrid Katharina Eismann an. Kämpferisch, aber nicht im Kampfparolenmodus, sondern mit Erfindungskraft. Sie ist nicht nur als Prosautorin auffällig geworden, etwa mit ihrem Roman “Das Paprikaraumschiff“, sondern arbeitet auch als Bildende Künstlerin, als Lyrikerin, Übersetzerin, Performancekünstlerin, in allem und vor allem aber ist sie Freigeist. Und damit eigenständig im Zusammenfügen von Worten, Bildern, Orten und Situationen. So wächst, indem sie sich ins Wurzelwerk ihrer Geschichte begibt, Neues.

Der hilfreiche Feenklang der Hilflosen
Die Salpeterer haben ein Ohr für „Feenstimmen“, für den Zartklang Hilfloser und Schutzsuchender, der zur Hilfe in der Hilflosigkeit wird. Etwa als eine der Familien während der Deportation im Gefängnis in Wien auf eine ebenfalls unschuldig Eingekerkerte trifft, die mit den Salpeterern abgeschoben werden soll. Sie ist verstummt – fast. Sie stammelt, verschluckt sich, redet im merkwürdigen Singsang in der Sprache tief Verletzter. Ein Feinklang, der sich von Mensch zu Mensch, von Jahrhundert zu Jahrhundert spinnt. „Reden befreit, zusammenhalten, einen Fluchtplan aushecken, auch aus Verzweiflung. Im Elend hat die Familie eine Gleichgesinnte gefunden, eine Schutzsuchende aufgenommen. Eine Brücke zurück in den Hotzenwald schlagen, auch wenn es nur ein Strohalm ist.“ Trotz des märchenschön-realen Zusammenhalts tut die Autorin nicht so, als ob die ihn begründende Hilflosigkeit eine – wie es im Lebensberater-Kauderwelsch heißt – Herausforderung ist, dank der man chancenkundig seine Resilienz ausbaut. Nein, Eismanns Schreiben ist stärker: „Denn Mut und Verzweiflung sind ein Paar – auch neun Generationen später.“

Verführend üppig
Wohl deshalb ist dieser Hochempfindlichkeitsroman lebenshungrig, fastenfrei und verführend üppig. Stets ist da ein Sinn für Pracht, für – damit startet Einsmanns Widerstandsprosa – „ein Potpourri Gewürze, Gaumengelüste“ im hessischen Wohnzimmer. Und in Temeswar? „An der Ecke fliedern Tauben im Gebälk, Gaudi baucht aus dem Zuckerbäckerhaus, so korpulent wie die leidenschaftlichen Konditoren anno dazumal.“ Genauso zeigt sich eine Freude an luxuriös geschneiderter Kleidung, mit Tropfen bestickt, in schillernden Farben und exotischen Motiven bedruckt, mit üppige Puffärmel – all das jenseits maschineller Antioriginalität-Exzesse. Landschaften werden so vorgestellt, dass Lesende Enthüllungen erleben. “Hinaus an die erquickende Schneeluft. Der Nebel hat Feld und Hügel verschluckt. Schief gewachsene Bäume, auf den Ästen schräg gebürsteter Schneeflor, wie elektrisiert vom Freigeist der Hotzen.” Eismanns Wortkombinationen ermöglichen ein – mag es auch paradox klingen – sich wiederholendes Erstes Mal: lauter Premierengefühle. Was auch deshalb lebensneu wirkt, weil nie geleugnet wird, dass die frisch aufgedeckten Details und Panoramen die Möglichkeit der Verneinung in sich tragen: „Mal legt sich ein nachtblaues Laken übers Land, mal ein graues Leintuch“.

Eleganz mit Dellen

Sigrid Katharina Eismanns Schreiben ist schön. Rebellisch schön. Und so unbeugbar kraftvoll und verletzbar zart in einem, dass es kaum beschreibbar ist. Obwohl, ganz und gar unbennbar ist es womöglich nicht. Die einstige und ebenfalls der Feenstimmen kundigen Damenschneiderin in Temeswar würde, inspiriert von ihrer aus Wien stammenden Uroma, es vielleicht als „delegant“ bezeichnen, “ihre Wortschöpfung für Eleganz mit Dellen“.
Sigrid Katharina Eismann, Mein innerer Schwarzwald, Roman, 159 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3-946046-45-5, danube books Verlag, Ulm 2025.
Die Redaktion des Blogs der Heilspraxis dankt der Wanderschule GangART für das honorarfreie Überlassen der Landschafts-Fotos, was diesen Blogbeitrag ermöglicht hat.