Abschied, Neues Leben

Trauern ist gesund

Trauern ist gesund - Alte Weinstöcke im Nebel auf dem Mainwanderweg bei Stetten

Der Tod reißt Lücken. Wer sie nicht schließen kann, ist nicht krank, sondern gesund: ein Mensch. Das behauptet Georg Magirius in EFO-Magazin. Der Titel seines Beitrags heißt: “Trauern ist gesund”.

Der Beitrag “Trauern ist gesund”

Tod und Sterben galten lange als Tabu, das aber scheint vorbei. Medien servieren eine Vielzahl an Trauerexperten, die sagen: Natürlich sei da ein Schock, aber das sei eben eine Trauerphase, die man zu durchwandern habe, damit dann alles leichter wird. Ich glaube: Wer einen kaum stillbaren Schmerz spürt, ist nicht krank, sondern gesund: Ein Mensch.

Trauerexperten halten dagegen: Das Loslassen lässt sich üben, man beginne damit am besten vor dem Todesfall. Denn auch das eigene Leben sei nichts anderes als eine Kette von Todesfällen – im übertragenen Sinn: Das Kind entwächst dem Kindesalter, einmal wird man erwachsen, auch ein Umzug sei eine Art Sterben, Freundschaften vergehen, man wechselt die Firma oder den Beruf. Saat und Ernte, Werden und Vergehen, alles ganz normal, sagen Trauerberater. Selbst Partnerschaften zerbrechen heute nicht mehr, sie gehen auseinander. Ein Scheidung ist kein Riss, sondern lässt sich rituell begehen.

Sorgfältiges Sterben?

Einige aber, bemerke ich, halten nicht mit: Ihnen tut ein Abschied schlicht weh, selbst wenn sie noch so fleißig das Bewältigen üben, in der Gruppe oder allein. Schriften über das Trauern sind zu einem wichtigen Segment auf dem Buchmarkt geworden. Sorgfältig edierte Trauer-Begleiter haben weich gezeichnete Fotos, ein bunter Baum im Herbst. Angenehm liegen die Bände in der Hand. Das Trauern ist traurig, lese ich. Auf der letzten Seite aber steht: „Es hat schon alles seinen Sinn, da ist doch in der Ferne ein Licht zu sehen – oder etwa nicht? Jetzt wenden Sie sich dem Leben wieder zu.“ Was aber mit denen, deren Trauer sich nicht weich anfühlt? Sie haben in diesen Büchern keinen Platz.

Bestattung im VW-Käfer

Vielleicht sollen sie sich auf eine reflektiertere Weise dem Tod anvertrauen: So gibt es über das Sterben Ausstellungen in Museen, was sich Sepulkralkultur nennt. Zu sehen ist, was alles möglich war und ist, bei den Römern, Kelten oder den Ägyptern. Heutzutage lassen sich manche im VW-Käfer bestatten. Dagegen wirken die Trauerriten der Religionen fast blass, zumal die Bestattungsunternehmer ihr Angebot ausbauen. In Trauerhäusern werden Särge bemalt und Klangkörper für Verstorbene gebastelt. Dazu lässt sich die eigene Begräbnisstätte im firmeneigenen Waldfriedhof planen: Denn: „Die Sache mit dem Sterben ist kostbar und vor allem ganz natürlich!“

Die Wahrheit lässt sich nicht bunt bemalen

Was aber soll ein Trauernder tun, der spürt: Der Sarg ist bunt, man hat den Angehörigen gewaschen, die Lieblings-CD schepperte während der Abschiedszeremonie nicht – und es tut trotzdem weh? Ich glaube: Wer den Tod als groß und furchtbar empfindet, hat den Sinn des Lebens verstanden, den man angesichts des Todes zu verlieren droht. Schließlich wird, wer stirbt, nicht wiederkommen. Das ist eine Wahrheit, die sich nicht bunt bemalen lässt. Sie ist keine Krankheit, man kann das nicht therapieren. Auch nach einem Durchwandern von meinetwegen 17 Trauerphasen wird eine Lücke bleiben. Warum soll man das zerreden?

Erfrischend urtümlich

Am besten kann man darauf unlogisch reagieren. Womöglich ist es gerade der nicht zu stillende Abschiedsschmerz, der erleichtern kann. Er ruft Widerstandskräfte hervor, ein Hoffen, Sehnen, Träumen. Wie etwa die Sitte, am Tisch einen Platz frei zu lassen. Denn eines Tages, vielleicht auch nachts, wird der Vermisste wiederkommen, ist der Träumende gewiss. Und die Ersehnte setzt sich auf erfrischend unnatürliche Weise an den Tisch.