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Kann man davon leben?

Wer begeistert von seiner Arbeit ist, wird manchmal gefragt: Kann man davon leben? Oder, wenn der Fragesteller ein guter Beobachter ist, den Befragten also nicht für einen Toten hält: „Offenbar kannst du davon leben!?“ Die, die so fragen, atmen dann mitunter schwer, wirken fahrig, wie kurz vor dem Herzinfarkt. Das lässt vermuten: Über das lustvolle Arbeiten zu sprechen ist ein noch größeres Tabu als über Gefühle, Liebe, Sex. Georg Magirius bricht das Tabu und leistet Erste Hilfe. Und zwar im Sonntagsgruß vom 29. Juni 2014. Beim Sonntagsgruß handelt es sich um eine Zeitschrift im Gütersloher Verlagshaus. Die Redaktion hat Monika Hovell.

Der Beitrag “Kann man davon eigentlich leben?”

Es gibt Themen, über die nicht gesprochen wird, offenbar nur schlecht gesprochen werden kann. Zumindest herrscht dann sofort eine angespannte Atmosphäre, es ist ein wenig peinlich. Die Redenden oder schon bald Nicht-mehr-Redenden sind unsicher und fahrig. Oder sie fangen schwer zu atmen an. Was ist das, von dem ich sage, dass es kaum sagbar ist?

Gemeint sind Zahlen. Aber wieso das? Gerade über Zahlen muss man doch nicht verschämt schweigen. Anders als zum Beispiel bei Gefühlen, Poesie oder Musik handelt es sich dabei nämlich um etwas, das klar benennbar ist und nicht gleich aus der Fassung bringen dürfte. Allerdings handelt es sich um Zahlen, die auf einen Bereich hinweisen, der offenbar mit ungeheuer tief liegenden Hoffnungen, Verletzungen und Enttäuschungen verbunden ist. Dieser geheimnisumwitterte Bereich scheint so bedeutungsvoll zu sein, dass man sich ihm kaum mit Worten annähern kann. Das zeigt sich auch daran, dass die Ouvertüre zu unserem Thema noch immer spielt.

Heikel, geheimnisvoll und peinlich

Also: Ende der Ouvertüre! Wovon ist die Rede? Antwort: Vom Geld. Aber nicht ums Geld allein geht es, also nicht um Münze oder Banknote, auch nicht um das Geld als System, über das sich betriebswirtschaftlich oder volkswirtschaftliche treffliche Überlegungen anstellen lassen. Es geht stattdessen um die Höhe von Geldsummen. Und dabei wiederum, wie viel denn jemand so verdient, verdient hat, gespart hat, Rente bekommt, Rente bekommen wird. Das alles wäre kaum der Aufregung wert, weil es eben gerade so ist, wie es nun mal ist. Ja, wenn es zum Beispiel nicht noch andere Menschen gäbe, die auch Geld einnehmen, darüber verfügen oder nicht verfügen, sodass untergründig das eifrige Vermuten beginnt: Haben die das, was sie womöglich mehr als ich haben, überhaupt verdient?

An der Urquelle des Lebens

Das Geldeinnehmen scheint jedenfalls in irgendeinem Zusammenhang mit den Urquellen des Lebens zu stehen. Das merkt man auch an einer Frage, die Menschen oft gestellt wird, die etwas tun, von dem sie begeistert sind. Vielleicht spürt man dann eine Freude, die sehr lebendig wirkt. Jedenfalls werden jene, die dann lustvoll von ihrer Arbeit sprechen, abrupt unterbrochen und gefragt: „Können Sie davon leben?“ Oder auch: „Wie kann man davon überhaupt leben?“ Oder aber, wenn jemand ein guter Beobachter ist, also den Befragten zum Beispiel aufgrund dessen spürbaren Begeisterung nicht für einen Toten hält: „Offenbar kannst du davon sogar leben!?“ Gefragt wird indirekt nach der Höhe des Einkommens. Aber womöglich staunt man einfach nur, weil es offenbar etwas gibt, das lebendig macht – ganz unabhängig von der Höhe des Einkommens.

Mein Lohn? Das Evangelium predigen

Vielleicht lenken Zahlen manchmal sogar von dem ab, was im Leben zählt? Ich sage nicht: Wenn sich jemand nichts oder nicht genug zu essen kaufen kann, dann ist das eine Erfahrung, die auf eine spirituelle oder sonstwelche Art zufrieden macht. Aber: Es scheint doch irgendetwas zu geben, das so sehr erfassen, trösten, inspirieren und faszinieren kann, dass die Höhe des Lohnes keine Rolle mehr spielt. Ein ausgezahlter Lohn womöglich sogar die Quelle der Freude verstopft! „Was ist denn nun mein Lohn? Dass ich das Evangelium predige ohne Entgelt“, hat der Apostel Paulus einmal gesagt. (1. Korinther 9,18)

Deswegen hörte er nicht zu essen auf. Von Beruf war er Zeltmacher, wodurch er vermutlich sein Brot verdiente. Trotzdem, sagt er, gibt es etwas, das ihn so sehr betört, dass er nicht anders kann, als es laut herauszurufen! Es ist das, was froh im Leben macht, genannt auch: Evangelium. Vielleicht lässt es sich übersetzen mit: Singen, Lachen, Pfeifen, freies Atmen oder wohliges Seufzen. Es gehört zum Schönsten und Unberechenbarsten, was der Mensch tun kann. Und all die peinlich-fahrig-verkrampften Geldbesitzvergleiche? Sie haben, wenn einen das Leben erfasst, abgedankt.