Abschied, Biblisches, Religion und Poesie

Meisterin der Pointierung

Eine große Freundschaft. Eine der beiden Frauen stirbt. Sind sie jetzt für immer getrennt? Darum geht es in dem neuen, gerade im Stifter-Verlag veröffentlichten Roman „Wir kommen nach“ von Manuela Fuelle. Die Zurückgebliebene findet eine Anknüpfung zur Welt der Toten. Ihr hilft aber nicht „die ganze Ratgeberliteratur, die einen Menschen wie mich schon beim Anblick der Titel in Depressionen stürzt.“ Es sind auch nicht Dinge wie Kleidungsstücke. Sie zerbröseln, was mehr ist als ein Bild. Tatsächlich geschieht das mit einem Gürtel der Verstorbenen, den die Suchende anziehen will. Teure Kristalle, teure Seminare und reine Geistreisen führen womöglich weiter, überlegt die Protagonistin. Für sie allerdings ist es eine Sackgasse.

Die große Anknüpfung

Als große Anknüpfung erweist sich, was eingangs fehlt. Auf der Trauerfeier soll möglichst jeder einige Worte sprechen. Die Erzählerin will am liebsten im Auto bleiben: „Für die nächsten 30 oder 40 Jahre oder nur so lange, bis ich die richtigen Worte gefunden habe“. Sie spricht dann doch – aber es sind nicht wirklich die richtigen. Erst gegen Ende ihrer Suche spielen sich immer weiter Worte nach vorn, die weiterreichen. Es ist Gehörtes. Geschichten, die die Freundin erzählte. Genauso können Bücher toter Dichter, Philosophen und Regisseure den Abstand zwischen Tod und Leben aufheben. Für sie ist das ein Gespräch der Seele mit den Autoren, das früh begann. „Weil ich das Leben liebte, verbrachte ich es mit den Toten, mit den auferstandenen Toten.“

Meisterin der Pointierung

Schließlich sind da „die ewigen Worte, die himmlischen Spruchbänder, die ziehen uns so machtvoll ins Reich der Unendlichkeit, Unsterblichkeit. Denn Gottes Hand ist nicht aus Fleisch und Blut, eher besteht sie aus Worten, und sein starker Arm, der dich hält, das sind doch die Psalmen und.“ Indem Manuela Fuelle den Satz mit „und“ abschließt, zeigt sie sich als Meisterin der Pointierung, Das Verbindungswort verwandelt das ihm folgende Satzzeichen zu einem Anfangspunkt. Indem sich der Punkt dem “und” allerdings auch wieder entgegenstellt, markiert die Autorin zugleich unaushaltbar Trennendes. “Das Brüchige, Chaotische und Zerrissene blendet sie nicht aus. Das gibt ihrem Schreiben Tiefe”, urteilt der Deutschlandfunk über die Thaddäus-Troll-Preisträgerin. Und sie selbst formuliert es in ihrem neuen Roman: „Der Mensch fängt für mich dort an, wo er Schmerz über den Verlust eines anderen Menschen empfindet.“

Im Jetzt

Manuela Fuelle schreibt menschlich. Als eine menschliche Theologin. Denn das ist die Schriftstellerin ja auch. Sie arbeitet als Diakonin in Freiburg, gestaltet Trauerfeiern und Kinderbibeltage, unterrichtet an einer Grundschule, hat sie im Interview mit Deutschlandradio Kultur erzählt. Womöglich schreibt sie auch, weil ein starker Antrieb für sie das Hören ist – nicht zuletzt das Hören von Worten der Bibel. Sie wirken in ihrem Roman auf eine ganz erstaunliche Weise lebendig. Nämlich so, als ob sie gar nicht transzendierungsbedürftig seien, sondern unvergleichlich heutig. Müssen solche Worte womöglich gar nicht immer ausufernd kommentiert aus alter Zeit ins Heute transzendiert, also hinübergetragen werden? Wie das viele tun, um dann manchmal umso mehr das Gefühl auszulösen, dass man sich für solche Worte entschuldigen müsste, weil sie ohnehin nicht passen, peinlich oder lächerlich wirken? Die alten Worte aus der Bibel im Roman “Wir kommen nach” wirken nicht transzendierungsbedürftig, weil die inständige Suche der Protagonistin nach Transzendenz es ist, die ihnen einen neuen Klang verleiht.

Manuela Fuelle, Wir kommen nach, Roman, Stifter Verlag, Lektorat: Liane Nelius, Freiburg im Breisgau, 267 Seiten, 18 Euro.