Religion und Poesie

Der Rettungsdichter

Der Rettungsdichter Arnold Stadler wünscht, dass es weitergeht mit Dorfwirtschaften wie dem Löwen in Rast.
Gasthaus zum Löwen in Rast – Foto: Georg Magirius.

Arnold Stadler wächst weit entfernt vom Meer auf. Trotzdem wird er als Kind Mitglied der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Außerdem tritt er in die DLRG ein. Aber nicht, weil er besonders gut schwimmen könnte, sondern weil er den Kräften folgen will, die gegen das Untergehen streiten. Davon handelt das halbstündige Porträt „Dass es weitergeht“ über Arnold Stadler im Bayerischen Rundfunk am 5. September 2021. Das Manuskript lesen. Die Redaktion hat Sabine Winter, die Regie Sabine Kienhöfer. Es sprechen Ruth Geiersberger und Thomas Birnstiel. Und das Produktionsmanagement liegt bei Ingrid Schillinger.

Wo die Sehnsucht geboren ist

Die jüngste Veröffentlichung des katholischen Theologen und vielfach ausgezeichnete Schriftstellers Arnold Stadler ist ein Reisebuch, in Wahrheit aber ein Rettungsbuch: „Am siebten Tag flog ich zurück. Meine Reise zum Kilimandscharo“. Der Roman handelt von einem, der das Paradies sucht, über die Schönheit der Welt staunt, die Schrecken aber nicht überspielt. Georg Magirius hat Arnold Stadler in Rast in Oberschwaben besucht, wo er auf einem Hof aufgewachsen ist, arbeitet und wo, wie er sagt, seine Sehnsucht geboren ist.

Der Schriftsteller Arnold Stadler schreibt und hofft, dass es weitergeht mit der Welt

Zwei Wirtschaften in einem Dorf namens Rast

Folgt man seinem neuen Roman, lebt die Sehnsucht in Rast noch immer. Etwa im Löwen, in dem es „schön ausgebackene Wiener Schnitzel“ gibt, eine von einst zwei Dorfwirtschaften.

„Ich frage mich heute, was das für ein Reichtum gewesen sein musste, und was für ein Sehnsuchtsort: zwei Wirtschaften in einem kleinen Dorf namens Rast.“ – Arnold Stadler, Am siebten Tag flog ich zurück

Doch Stadler will nicht nur, dass Dorfwirtschaften gerettet werden. Ihm reicht es ebenso nicht, wenn die sogenannte ökologische Frage in die Nähe einer Antwort rücken würde. All das wäre zu wenig. Es geht ihm stattdessen ums Ganze, die Rettung der Welt. Nur ist solch ein Hoffen angesichts der oft dunklen Menschheitsgeschichte nicht überzogen oder gar lächerlich? Für den Schriftsteller ist es schlicht seine christliche Mitgift. Und er hält es für nicht weniger realistisch als das Sinnen aller Träumerinnen, Kindsköpfe, Poetinnen, Don Quichotes und Linkshänder im Kopf, die angesichts der fortschreitenden Lebenszerstörung nicht abwinken und sagen: Was soll’s?

Trillerpfeifen-Allergie

So hinterfragt der Held in Stadlers jüngstem Roman die Maxime, es im Leben möglichst überallhin schaffen zu müssen. Die Sehnsucht lockt ihn zu Aufbrüchen. Aber er ist nicht “infiziert vom Number-One-Syndrom und austaffiert mit dem Killer- und Kampfgeistigen”. Der Erzähler misstraut hingegen Hauptwörtern wie Start, „das für mich vom Hundertmeterlauf im Jahnstadion an eine Art Weglauf- und Wegfahrsperre war“. Das Jahnstadion in dem bei Rast gelegenen Meßkirch, wo Stadler das Gymnasium besucht hat, gibt es noch. Ebenso die Erinnerung des Ehrenbürgers an das Attest, mit dem er sich vom Sportunterricht befreite, inspiriert von einer Trillerpfeifen-Allergie.

Rettungsdichter: Arnold Stadlers Schule in Meßkirch.

Heimatdichter

Einen freundlicheren Klang als “Start” oder “Stadion” hat für Stadler das Wort Heimat. Allerdings, heißt es im Roman: „Heimat war für mich das Gegenteil von Deutschland und allem Hochdeutschen. Heimat war jener Ort, von dem aus sich der Mensch mit seinen Beinen in die Welt aufmachte, in der er vielleicht nie ankam.“

Schauen genügt

Der Erzähler des Romans kommt an, indem er den Kilimandscharo erst gar nicht besteigen will. Ihm genügt das Schauen. Freilich schaut der Rettungsdichter nicht unaufhörlich in Kameras. Lieber wendet er sich von Kameras weg und wählt die für ihn schönste aller Himmelsrichtungen, die zum Himmel. Und er wendet sich Gärten zu, hält Ausschau nicht zuletzt nach dem von Eden, bleibt der Zukunft und der Erinnerung treu, schreibt sie ineinander.

Rettungsdichter Arnold Stadler schaut lieber in Gärten und in den Himmel als in Kameras, ist zu hören in der halbstündigen Sendung "Dass es weitergeht mit der Welt" im BR von Georg Magirius

Reich geworden

So verliert er das Schloss in Meßkirch nicht aus dem Blick, in dem sich einige Jahre sein Klassenzimmer befand. In einer Stadt, in der neben ihm auch Martin Heidegger und Conradin Kreutzer geboren wurden, sodass manche dieses Terrain Badischer Geniewinkel nennen. Kurz vor dem Abitur habe er aus dem Klassenzimmer zum Fenster hinausgeschaut und sich gefragt: „Und ich? Was wird aus mir?“ Der Laufbahn, exakt mit Kreidelinien gezogen, ist er nicht gefolgt. Angekommen ist er in der Sprache. Und reich geworden an Büchern und Sätzen wie diesen:

„Die Zukunft war damals meine Sehnsucht, so wie die Erinnerung nun mein Heimweh ist.“ – Arnold Stadler, Am siebten Tag flog ich zurück

Informationen zur Sendung über den Rettungsdichter

Die Sendung “Dass es weitergeht” von Georg Magirius wird ausgestrahlt in Bayern 2 Kultur am 5. September 2021. Und zwar in der Sendereihe Katholische Welt. Das Manuskript lesen. Die Katholische Welt thematisiert Fragen aus den Bereichen Christentum und Kirche, Religion und Gesellschaft. Ganz wichtig: Der Dialog – in der Kirche, zwischen den Kirchen, mit den Weltreligionen. Arnold Stadlers Roman “Am siebten Tag flog ich zurück”, der die Sendung angeregt hat, ist im S. Fischer Verlag erschienen. Die ISBN-Nummer lautet 978-3-103-97250-4.