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Knackige Königin

Gabriele Wohmann fotografiert von Jule Kühn. Der Zauber der Storys der Königin der Kurzgeschichte ist nicht aufzuknacken, deshalb ist sie nach Georg Magirius eine knackige Königin

Sie gilt als Königin der Kurzgeschichte, ist in der Enzyklopädie Wikipedia zu lesen: Gabriele Wohmann. Wie aber lässt sich ihr Werk knacken? Wie kommt man also dem Sinn ihrer königlichen Sätzen auf die Spur? So fragen viele, die von sich aus ihrer Kunst annähern. Oder die zur Aufgabe bekommen: “Tritt in den Palast der Königin ein!” Ihre Erzählungen nämlich sind der Stoff, aus dem Lehrplanzusammensteller-Kommissionen Unterrichtsgegenstände geschaffen haben. Dank der Storys können Schülerinnen und Schüler lernen, von ihren sich nicht immer aristokratisch anfühlenden Denkwegen in der Schule abzuzweigen. Doch um es vorwegzunehmen: So sehr man ihren Erzählungen auch auf den Grund gehen will, das Geheimnis der Größe ihrer kurzen Storys lässt sich nicht aufknacken. Deshalb bleibt sie eine unaufknackbare, eine knackige Königin. Wobei – und das ist das Erstaunliche – der Rezensent Dieter Wunderlich neudings dem Kern ihres Werkes erstaunlich nahe kommt.

Einfach so

Die Meisterin des pointierten Erzählens selbst gibt ohnehin keine knackige Antwort, wenn Literaturknobler und Räselfreunde sie nach der Auflösung ihrer Geschichten fragen. Sie könne ihr Werk nicht auseinanderdröseln, den Sinn sprengen und in die Luft fliegen lassen, meint sie. Sie schreibe aus Sehnsucht, zum Vergnügen, einfach so. Aber könnte nicht jemand anderes das Werk der Königin knacken?

Puddingkreppel ist nicht gleich Puddingkreppel

Schülern ist gewiss geholfen, wenn man die Landschaft benennt, in der die Monarchin die Erzählungen spielen lässt: das ganz normale Leben. Bei näherer Betrachtung wirkt dieses dann allerdings doch nicht nur gewöhnlich. Denn ein in eine Partner- und Gütergemeinschaft eingebrachter – so der Titel einer ihrer 636 publizierten Erzählungen – “Puddingkreppel” ist nicht gleich Puddingkreppel. Schließlich gibt es welche, die nur vordergründig mit Pudding, in Wahrheit aber mit Vanillecreme gefüllt sind. Außerdem gibt es auch jene, die auf bösartige Weise ungenießbar sind. Andere wiederum können enthusiastische Gefühle hervorrufen. Aber: Ist damit die Sinnschale des Wohmann-Kosmos wirklich angebissen? Haben wir Gewöhnliche, die wir uns beim Lesen der Sprachmeisterin oft genug im Gewand von Bauern, Zofen, Dienern fühlen, damit eine vage Richtung gefunden, um in Wohmanns Palast zu treten?

Der Schlüssel zur königlichen Kreppel-Literatur

Versuchen wir es anders: Einfacher, fundamentaler, basaler. Wir holen Rat bei einem Literaturinstitut, das nicht die literarische Elite im Blick hat, sondern sich der ehrenvollen Tugend der Auf- und Erklärung verpflichtet sieht. Die Literatur- und Filmtipps von Dieter Wunderlich aus Kelkheim bei Frankfurt besuchen fünf Millionen Menschen pro Jahr. Seine Buch- und Filmbesprechungen liegen im Ranking der Suchmaschinen meist vor Rezensionen hochangesehener Feuilletons. Außerdem auch vor denen von Universitäten und anderer staatlich anerkannter Intelligenz-Einrichtungen. Aber wieso? Weil Wunderlich nicht sofort wertet und Meinungen austeilt, sondern zunächst den Inhalt der Bücher wiedergibt. Die Internetpräsenz ist bei Lernwilligen gefragt. So habe, berichtet die Frankfurter Rundschau, ein Schüler den Webmaster Wunderlich einmal gebeten, die Inhaltsangabe eines Buches offline zu schalten. Warum? Sein Lehrer soll am nächsten Tag nicht recherchieren können, dass er sie in der Institution Wunderlich gefunden habe.

Im Kanon angelangt

Teller mir Rissen - Cover von Eine souveräne Frau

Und nun? Wir schreiben das Jahr 2013. “Eine souveräne Frau“, die von Georg Magirius im Berliner Aufbau Verlag herausgegebenen und von Dr. Angela Drescher lektorierten Meistererzählungen von Gabriele Wohmann, sind im Kanon Wunderlich angelangt. Endlich können wagemutige Leserinnen, neugierige Schüler und Zofen erste Schritte in die könglichen Paläste der von Wohmann erzählten Gewöhnlichkeit setzen. Sie finden 26 Erzählungen aus knapp sechs Jahrzehnten in knackig-klare Inhaltsangaben transformiert, darunter – um nur ein Beispiel zu nennen: “Käme doch Schnee”. Sie wird laut einer Untersuchung des Statistischen Bundesamts zur Erhebung der Wirkkraft von Prosa und Lyrik in der Phase der Adoleszens im Untericht nicht gerade selten behandelt. Seit 1973 ist sie dieser Statistik zufolge in 58 Lesebüchern der Klassen 5 bis 13 gedruckt worden (exklusive Neuauflagen), außerdem in circa 11000 Schulstunden (exklusive Hausaufgaben) durchexerziert worden. Und das nicht nur in Herbst und der potenziellen Schneefallzeit Winter, sondern auch in Frühjahr und Sommer.

Perfide und scharf: Die Schönste im ganzen Land

Aber auch den Gesamtertrag der souveränen Frau hat Wunderlich aus Kelkheim dargestellt: In der Auswahl ihrer schönsten Erzählungen geht es “um Egoismus und Eitelkeit, Lieblosigkeit, Gleichgültigkeit, Gedankenlosigkeit und Kommunikationsschwierigkeiten. Ehe, Partnerschaft und Familie werden von den Frauen in Gabriele Wohmanns Alltagsdramen als Einengung und Freiheitsberaubung erlebt.” Und auch die formale Vielfalt der Erzählungen wird benannt: “Da stehen realistische neben symbolischen und grotesken Geschichten, es gibt Karikaturen wie die Bütows, eine Satire wie ‘Die Schönste im ganzen Land’ und einen perfiden  Miniaturkrimi wie ‘Das Schweizer Messer’.”

Eine souveräne Frau und knackige Königin

Der Buchtipp von Dieter Wunderlich ist hier. Zum Buch “Eine souveräne Frau. Die schönsten Erzählungen von Gabriele Wohmann” hier. Das Foto oben stammt von Jule Kühn aus Heidelberg.