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Trost statt Gremium

Eiche bei der Schwedenschanze in den Haßbergen. Symbol für Altersstärke und das Magirius-Motto "Trost statt Gremium"

Wie findet man Mut? Er kommt nicht aus dem Willen zur Problembehandlung, wie ihn die Frisch-nach-vorne-Schauer zeigen. Ermutigung lässt sich nicht herstellen oder proklamieren. Sondern er findet sich. Zum Beispiel beim Schauen in die Vergangenheit. Das schreibt Georg Magirius im EF-Magazin vom 25. Mai 2016. Statt an die Erlösungskraft der Gremienarbeit zu glauben, helfe die Hinwendung zu mitunter uralt wirkenden Liedern. Oder zu Worten wie Trost und Seele. Kurz gesagt laute das Geheimnis der Ermutigung: Trost statt Gremium. “Denn das permanente Frisch-nach-vorne-Schauen-Wollen erscheint mir als überhaupt nichts Frisches. Stattdessen ist das eine Selbstverliebtheit, die das eigene Tun und Können überhöht.”

Trost statt Gremium: der Reiz der Rückschau

So gewinne man keinen Mut, “sondern macht nur weiter und immer fleißig mit bei dem, von dem man meint, dass es lebendig und belebend ist, nur weil es vielleicht auf imposante Weise aufgedreht und hektisch wirkt.” Dagegen bestehe der Reiz der Rückschau darin, auf Kräfte zu stoßen, die bis heute wirksam sind. So schreibt Magirius, der auf Psalm 77 verweist: “Da erzählt jemand, dass sich die Seele nicht trösten lässt. Das ist keine Anamnese, Exegese oder Problemskizze, sondern ein Schrei. Und doch schön. Und ermutigend, weil ein Schrei so viel menschlicher klingt als das technokratische Lebensbehandlungsvokabular, dank dem wir meinen, alles unbeherrschbar Lebendige auf Abstand halten zu können.”

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Als mutig gelten Menschen, die nach vorne schauen, die Lösungen für neue Fragestellungen haben. So gestalten sie die Zukunft. Ich glaube: Der Mut kommt nicht aus dem Willen zur Problembehandlung, sondern aus dem Nichts. Es ist der Mut, endlich einmal nichts zu tun. Er findet sich beim Schauen in die Vergangenheit.

Kaum zu ertragende 40 Jahre alt?

„Die Alten mit ihren alten Ideen bringen uns heute einfach nicht mehr weiter“, reagierte vor einigen Jahren eine ranghohe Frankfurter Kirchenorganisatorin, als ich von einem in ihren Ohren offenbar furchtbar alten Lied eines noch älteren Poeten schwärmte. Mein Fehler: Dass ich noch immer, obwohl doch nun auch nicht mehr verzeihlich jung, schwärme. Noch schlimmer: Das Lied ist offenbar kaum zu ertragende 40 Jahre alt.

Klar, Poesie und Lieder gelten unter problembegeisterten Tätigkeitsfetischisten nicht nur im kirchlichen Milieu wenig. Das sei eine nett zu nennende Garnierung des wahrhaft starken Hämmerns an den sogenannten heutigen Herausforderungen. Aber es scheint auch eine ärgerliche, weil nie ganz auszurottende Provokation zu sein. Denn der erschreckend alte, offenbar dann aber doch gar nicht so gegenwartsfremde Floh springt nicht aus dem Ohr.

Selbstverliebt

Jedenfalls: Das permanente Frisch-nach-vorne-Schauen-Wollen erscheint mir als nichts Frisches, sondern als eine Selbstverliebtheit, die das eigene Tun und Können überhöht.

Sinnbild für diese Aktivitätsausstrahlung sind Fußballspieler, die in Interviews den austauschbaren, weil immergleichen Satz von sich geben: „Abhaken. Wir schauen ab jetzt nicht mehr zurück, sondern nach vorn.“ Das gilt für Niederlagen gleichermaßen wie für starke alte Zeiten, in die man ja genauso blicken kann. Doch beides schmälert die eigene Bedeutung.

Gartenarbeit

Allerdings gewinnt man so keinen Mut, sondern macht nur weiter und immer fleißig mit bei dem, von dem man meint, dass es lebendig und belebend ist, nur weil es vielleicht auf imposante Weise aufgedreht und hektisch wirkt.

Die Fans sogenannter Traditionsklubs reagieren anders als die Spieler. Sie schauen oft in alte Zeiten. Was sie mit einem Schriftsteller wie Maarten t’Haart gemeinsam haben, wie Fans ja ohnehin in erster Linie Schauende und nicht Machende sind. In seinem Buch „Die grüne Hölle“ jedenfalls sagt t’Haart, er schaue allenfalls bei der Gartenarbeit nach vorn. Denn wenn er etwas pflanze, wisse er nicht, ob er das Blühen und Aufsteigen der Pflanzen überhaupt noch erlebe. Ansonsten schaue er zurück.

Für Aktivitätsmonster klingt so etwas entmutigend, für Rückschauer witzig, weil es auf Distanz zu denen geht, die die Welt als Ball betrachten, den man dank des eigenen Willens angeblich mal eben so auf den richtigen Weg befördern kann.

Erfahrungsraum

Was ist aber ist denn der Reiz am Vergangenen? Dass man dort auf Kräfte stößt, die bis heute nachweislich wirksam sind. Nein, das ist falsch, diese Kräfte lassen sich natürlich nicht im üblichen Sinn nachweisen, wie das hier angetippte Geheimnis der Ermutigung eben auch ein Geheimnis ist. Und damit etwas anderes anderes als ein Rätsel, das sich dank des Ineinanderarbeitens diverser Problembhandlungstechnologien lösen und aus der Welt schaffen lässt.

Das Geheimnis des Alten ist ein Erfahrungsraum. Durch ihn lässt sich spazieren und schnüffeln. Ohne dabei allerdings zum Detektiv zu werden, der ein Verbrechen aufklären will. Natürlich gibt es im Zurückliegenden Verbrechen, die uns heute noch bestimmen – und damit ebenso belegen, dass man der Gegenwart dank der Machbarkeitsattitüde eben auch ihre Tiefe nimmt.

Aber es gibt im Alten und nur vermeintlich Vergangenen ebenso fantastisch starke, wenn oft auch leise Kräfte. Nur spürt man heute deren WIrkung nicht oder will sie nicht spüren, weil man ständig mit den Aufgaben aus Gegenwart und Zukunft beschäftigt ist, die man jetzt oder bald wieder in Angriff nimmt.

Schrei

Bitte verzeihen Sie! Ich weise jetzt auf ein Lied hin, das noch älter ist als 40 Jahre. Da erzählt jemand, dass sich die Seele nicht trösten lässt. Das ist kein Anamnese, Exegese oder Problemskizze, sondern ein Schrei. Und doch schön, weil ein Schrei so viel menschlicher klingt als all das technokratische Lebensbehandlungsvokabular, dank dem wir vorgeben alles unbeherrschbar Lebendige auf Abstand halten zu können.

Allein schon Worte wie Seele und Trost – sie finden sich in den Werkstätten der Problematisierungstüftler nicht. Aber es kommt noch schöner. Statt eine Zukunftswerkstatt zu installieren, wobei gerade das das Lied nach heutigen Maßstäben ziemlich nötig hätte, weil es weit über 2000 Jahre alt ist und also allen Grund dazu hätte, in unsere unterdessen mehr als 2000 Jahre fortgeschrittene Zeit und noch darüber hinaus nach vorn schauen zu wollen – also statt „Vorwärts!“ zu rufen, schaut das Lied zurück.

Das Geheimnis

Wo soll all das Rückschauen denn nur enden? Antwort: Im Geheimnis der Ermutigung, in einer Macht, die heute hörbar wäre, wenn man nicht Worte wie Seele und Trost durch Gremium und Struktur ersetzen würde. Wenn man also noch einen vagen Sinn fürs Erzählen, Glauben, Hoffen hätte.

Das Lied gedenkt. Es singt von alten Wundertaten wie dem Teilen des Entmutigungsmeeres, die heute wieder möglich sei. Und also wäre da ein Weg, der nicht im Ersaufen oder im Besäufnis endet. Und nein, diesen Weg durch die Entmutigung hindurch und aus ihr heraus in die Ermutigungen hat man nicht selbst bewerkstelligt, weil man damals nämlich noch gar nicht lebte, dieses Problem damit nicht abhandeln konnte und auch keinen Mentaltrainer hatte, der animierte, das Alte sofort abzuhaken. Es muss anders zugegangen sein.

Unentwirrbar schön

Davon ahne ich etwas, wenn ich mich in die alten Worte einsinge, in eine Kraft, die man heute leider kaum mehr beim Namen nennt, weil das als peinlich gilt, als herkömmlich und altersschwach. Was aber gar nicht stimmt, weil es verwirrend schön und anders als nach Werkstatt klingt, nämlich nach einer unentwirrbar steten Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in einem: Gott.

P.S. Das Lied ist ein Psalm. Ah, die Nummer! Die Nummer muss genannt werden, damit die Problembehandler auch diesen, wie sie gewiss vermerken, doch etwas “extravaganten Beitrag frei von einer wirklichen Lösungsstrategie” in den Griff bekommen und im dafür gesehenen Ordner ablegen können. Aber anderen wird die Zahl eine Fährte in eine Welt sein, wo es nicht ums Ablegen geht. Sondern? Ums Aufleben. Also: Es ist Nummer 77.